Montag, 12. Mai 2014

Noch eine Nacht


Wie ferngesteuert verrichte ich meine Arbeit. Vielleicht bin ich ganz und gar ferngesteuert, überlegte ich mir. Die Terrassentür stand offen. Ich lauschte dem Regen. Weiße Wolkenschwaden sah ich in der Dunkelheit am Altenheim vorüberziehen. Ich zappte durch die Fernsehprogramme, um mich abzulenken. Jede Nacht sitze ich inmitten der Verlorenen und Verwirrten, um über sie zu wachen. Ich komme zu ihnen ans Bett und berühre sie mit kalten Händen.
I am the master of the night – lach! Mein Modus ist Funktionieren. Ferngelenkt von einer unsichtbaren Macht. Unwillkürlich lächele ich die alten Menschen an. Lächele ich für sie oder für mich? Manche nehmen meine Hand. „Bitte lasse mich nicht los“, scheinen sie zu sagen. Ich berühre sie zart an der Schulter oder ihren Armen, streichle über ihren Kopf. Sie sind mir ausgeliefert in ihren Betten. Es tut mir leid, dass ich das machen muss, sage ich den Dementen (wenn ich ihre Nachtruhe störe, um die Windeln zu wechseln oder sie zu lagern). Oder sage ich es zu mir selbst? Oder dem lieben Gott, an den ich nicht glaube? Oder den Geistern der Toten?
Man kann nie wissen.
Ich halte die ganze Nacht die Terrassentür offen, denn sonst habe ich keinen Empfang mit meinem Smartphone. Ich liebe die Kühle der Nacht. Und die Dunkelheit macht mir keine Angst.
Schlimmer ist das furchtbare Fernsehprogramm – lach! Gestern Nacht zum Beispiel. Ich zappte mit der Fernbedienung die Programme rauf und runter. Ich kam mir selbst wie in einem irrwitzigen Film vor. Von einer unsichtbaren Macht gelenkt. Am Morgen hörte es auf zu regnen. Ich schloss die Terrassentür und knipste den Fernseher aus. Der Tag dämmerte. Die Sonne brachte mir den Feierabend.

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