"Die Brücken am Fluss", 22 Uhr 15, RBB
bonanzaMARGOT
- 14. Dez. 13, 18:34
Sigmar Gabriel fliegt (nicht raus, sondern er hebt engelgleich ab unter dem Applaus - ich stelle mir eine Karikatur vor: der dicke Sigmar Gabriel mit Engelsflügeln und einem Lorbeerkranz um den Kopf, auf dem SPD steht - oder so ähnlich). Gerade wurde das Ergebnis verkündet. Es fiel weniger knapp aus, als ich annahm. Ca. 76% stimmten für die Große Koalition.
Nun denn.
Die Schwerkraft und ihre Schwester Schwermut halten mich fest. Das Adergeflecht der kahlen Äste zeichnet sich auf dem matt leuchtenden Grau des Himmels ab. Kleine Tropfen glänzen an den Zweigenden wie Perlen. Es regnet seit Stunden. Das Rauschen der Autoreifen auf dem nassen Asphalt jagt mich. Die Straße zerschneidet mein Herz. Mir ist zum Schreien! Der Mensch steigt in ein Auto und verliert sein Menschsein …
Ich lenke mich ab, indem ich einer Dokumentation über das New Yorker Künstlerviertel Bushwick lausche. Ich liebe kreative Menschen und die Atmosphäre, die sie schaffen. Aber ich hasse Vernissagen. Kunst und Künstlichkeit passen in meinen Augen nicht zusammen. Kreativität und Authentizität verlieren an Boden, wenn sie zu arrangiert und aufpoliert daherkommen. Auf einer Vernissage wäre mir genauso zum Kotzen wie auf einer Betriebs- oder Familienfeier. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Ich habe ein verdammt feines Gespür dafür, wenn etwas aufgesetzt daherkommt - und reagiere im Allgemeinen darauf allergisch, indem ich Worte auskotze, nicht immer schöne Worte.
Früher oder später dreht sich alles nur noch ums Geld, und das Geld und die Menschen hinter dem Geld kaufen sich die Künstler und Kreativen. Auch in Bushwick.
Der Geist der Kunst ist mir heilig. Er bedeutet Freiheit und nicht Leistungsdruck. Er unterscheidet nicht zwischen guter und schlechter Kunst. Er gibt den Menschen eine Plattform, um sich auszudrücken, auszutoben – wonach ihnen auch immer der Sinn steht. Der Geist der Kunst atmet Anarchie aus. Er liebt die Freiheit des Wortes. Er macht die Menschen im besten Sinne menschlich.
Er ist wie die Liebe.
Die Welt ist eine Waschküche, hier und heute besonders. Ein Tag ist wie eine Rutschbahn, auf der man langsam hinunterrutscht. Abends fallen wir ins Bett, und in der Nacht klettern wir die Leiter wieder hoch. Ich fühle die Nässe, obwohl ich im Trockenen sitze. Ebenso fühle ich Wut bei manchen Nachrichten, obwohl es weit weg passiert. Ein Diktator, ein Hanswurst, im fernen Nordkorea lässt nach Gutdünken politische Gegner eliminieren. Ein anderer mächtiger Hanswurst in Russland erklärt in seinem Land Homosexuelle quasi für vogelfrei. Und das Beste: die Bevölkerung macht den Scheiß mit. Jedenfalls ein beachtlicher Teil der Bevölkerung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht wütend werde über das, was sich auf der Welt abspielt. Manches geschieht direkt vor meinen Augen. Dann ist mein Hosenboden, auf dem ich den Tag hinunterrutsche, echt nass (oder gar aufgerissen).
Unablässig tönt das Rauschen des Autoverkehrs zu mir hoch in mein Zimmer. Ich zünde drei Kerzen an, als könnte ich damit einen guten Geist beschwören - etwas Hilfe gegen die Dunkelheit auf der Welt herbeirufen.
Die Schwerkraft und ihre Schwester Schwermut geben niemals auf. Wenn sie mich eines Tages loslassen, fliege ich zu den Sternen, weit weg von Menschen und Straßen, weit weg von Geld, Macht und Willkür, weit weg von Tag und Nacht ...