"Der elektrische Reiter", 22 Uhr 35, 3sat
bonanzaMARGOT
- 06. Dez. 13, 19:22
Einer der ganz Großen starb. Es gibt nicht viele, von denen man das sagen kann. Vor allem in der Gegenwart.
Nelson Mandela kann im selben Atemzuge mit menschlichen Größen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Albert Schweitzer genannt werden.
Er war erfolgreich in seinem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika, gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Dies ist ein Kampf gegen eine vielköpfige Hydra, deren abeschlagenen Köpfe stets nachwachsen. Es braucht mutige und gute Menschen, um diesen Kampf auch in Zukunft beharrlich fortzuführen. Nicht mit Brutalität und tödlichen Waffen sondern mit Umsicht, Klugheit und menschlichem Gewissen.
Menschen wie Nelson Mandela lehrten uns, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugt. Man muss die Hydra der Gier, des Rassismus und der Intoleranz dort packen, wo sie wirklich verwundbar ist - und das ist die Hoffnung, dass in jedem Menschen letztlich eine gute Seele wohnt; das heißt mit gutem Beispiel voran gehen und menschlich sein, was eine urchristliche Tugend sein sollte. Aber unabhängig von Glauben, Nationalität und politischer Gesinnung gibt es diesen Geist, der alle Menschen friedvoll zusammenführen kann. Überall auf der Welt. Und er wurde von Menschen wie Nelson Mandela aufgenommen und erfolgreich weitergereicht. Weit über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus.
Nelson Mandelas wahre Lebensleistung kann ich nicht erfassen. Auch lernte ich ihn (natürlich) nicht persönlich kennen. Vielleicht ist er nur ein Wunschtraum von mir. Vielleicht lege ich in Menschen wie ihn meine Hoffnung, damit ich nicht ganz an der Welt verzweifle, wie sie leider mit Kriegen, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten immer noch ist.
Es gibt Menschen, die an seiner Seite waren, die ihn viel besser kannten und auch besser würdigen können.
Für die Südafrikaner wünsche ich mir, dass sie nicht in alte Muster und Dummheiten zurückfallen und weiter an der Demokratisierung und an einer gerechten Gesellschaft arbeiten. Für alle Menschen, egal welche Hautfarbe sie haben. Nelson Mandela sollte sich nicht in seinem Grabe umdrehen müssen.
„Ich wusste ganz klar, dass der Unterdrücker ebenso frei sein muss wie der Unterdrückte. Ein Mensch, der einen anderen Menschen seiner Freiheit beraubt, ist Gefangener seines Hasses, er ist eingesperrt hinter den Gittern seiner Vorurteile und seiner Engstirnigkeit. (... ) Als ich die Türen des Gefängnisses durchschritt, war dies meine Mission: Zugleich den Unterdrückten und den Unterdrücker befreien.”
(Mandela in seiner Autobiographie)
(aus einem unvollendeten und unvollendbaren Brief)
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Ich pflege, wie ich dir gesagt habe, ein Buch mitzunehmen, jedoch um nicht in ihm zu lesen. Kennst du nicht den Reiz, ein Buch zur Hand zu haben, um nicht in ihm zu lesen? Es ist köstlich. Es höchstens aufzuschlagen, ein paar Worte zu lesen und es wieder zu schließen.
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Um die Stunde, wenn die Kühe an den Fluß zum Trinken herunterkommen, begebe ich mich zu der stillen Stelle in der Nähe der Mühle, die wie ein großer Tümpel aussieht, und sehe sie, wie sie sich im Wasser spiegeln, als wären es zwei Kühe, die einander trinken. Und da ich sie am Ufer liegend anschaue, befreit von unserer normalen Stellung des Hochaufgerichtetseins - Du wirst dich sicher erinnern, dass der Mensch, unserem Freund zufolge, nichts anderes als ein vertikales Säugetier ist -, erlangt dies alles einen merkwürdigen Eindruck von Unkörperlichkeit. Es ist, als verwandle sich die gesamte Landschaft in ein bloßes Gewand des Raumes, der Unermeßlichkeit Gottes, nach unserem Philosophen.
Und so ist es mit allen Dingen, die direkt durch die Sinne in mich eindringen: dem Rauschen des Flusses und der Blätter, dem Grün der Wiese und der Bäume, den Kühen, den Käfern, der Mühle, den Wolken; all dies dient mir als Gewand der Begriffe, die ich im Winter im Schatten der Bibliothek lernte. Es gab einen Augenblick, unlängst, in dem ich unseren Freund L., den Wissenschaftler, nicht wie einen Menschen anschaute, das heißt, nicht wie ein rationales Wesen voll von Gedanken, Affekten und Wünschen, sondern wie ein Tier, wie den Ochsen, der aus dem Fluß trinkt. Am liebsten hätte ich ihn umarmt.
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Hast du je darüber nachgedacht, was man einen Charackter nennt? Die Menschen, von denen man sagt, sie seien ein Charakter, sind so, dass man ein ganzes Jahr über sie lachen kann, ohne aufzuhören. Ihre nahezu einzige Sorge ist es, ihrem Typus getreu zu bleiben. Denn sie haben einen Typus. Oder wie unser guter P., der Paradoxist, sagt, sie imitieren sich selbst. Und wieviele gibt es nicht von der Sorte, die nichts tun, als sich selbst zu imitieren!
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(Miguel de Unamuno)
Viel Xaver kam hier im Südwesten nicht an. Ein strenges Lüftchen weht, das ich gestern auf der abschüssigen Straße ins Tal zu spüren bekam. Dafür ließ sich der Heimweg mit dem Wind im Rücken leichter meistern. Ich war seit längerem wiedermal mit dem Fahrrad unterwegs. Es war an der Zeit. Ich musste endlich die Flaschen zum Flaschencontainer schaffen. Danach einkaufen. In die zwei Satteltaschen passt eine ganze Menge.
Im Kaffeehaus wärmte ich mich auf. Ein älteres Ehepaar saß neben mir an der Bar. Mitte Sechzig schätze ich sie. Sie kommen immer Donnerstags am frühen Abend. Ich finde sie goldig. Ihre Augen funkeln so schön. Vor allem die der Frau. Wille und Rolf. Gestern stellten wir uns einander mit Namen vor. Ich liebe Unterhaltungen mit netten, weltoffenen Menschen. Rolf ist etwas knorrig und will immer das letzte Wort haben, aber seine Frau Wille kann gut damit umgehen. Wir beobachteten eine Geburtstagsgesellschaft und rätselten über das Alter des Jubilars sowie über die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Gratulanten. Ziemlich schnell hatten wir raus, wer Schwiegersohn, wer Tochter, und wer die Geschwister waren. Bestimmt wurde ein runder Geburtstag gefeiert. Der Sechzigste, schätzten wir. Alles war sehr feierlich arrangiert. Sie hatten sogar einen Teil der Bar reserviert, um die eintreffenden Gäste mit Sekt zu empfangen. Der Barkeeper sagte, dass später Gans aufgetischt würde.
Nachdem Wille, Rolf und ich uns gegenseitig vorgestellt hatten, wollten wir auch den Namen des Barkeepers wissen und erfuhren, dass er Kei heißt und einen japanischen Vater hat. Kei stellte uns Erdnüsse auf die Theke. Es war ein fröhliches und unterhaltsames Zusammensitzen. Wille trank Strawberry Margarita aus frischen Erdbeeren und Rolf Pils. Wenn es nichts mehr zu sagen gab, las ich in Miguel Unamunos Essays. Rolf wurde neugierig auf meine Lektüre. Ich umriss kurz den Inhalt und verlor ein paar Worte über Unamuno, - was mir bei ihm gefällt. Ich glaube, sie waren beeindruckt. Hätte ich dagegen Bukowski dabei gehabt, hätten sie sicher gegrinst. Nächsten Donnerstag werde ich etwas von Bukowski mitnehmen, um ihre Reaktion zu testen.
Ich erfuhr, dass Wille und Rolf seit 548 Monaten zusammen sind. Sie konnten es so genau sagen, weil sie jeden Monat ihr Zusammensein feierten. Sie hatten sich in ihrer Studentenzeit kennengelernt.
„Ihr feiert bald Goldene Hochzeit“, sagte ich.
„Nein, wir sind seit 548 Monaten zusammen“, berichtigte mich Rolf.
„Ach so. Dann feiert ihr Goldenes Zusammensein.“
„Goldenes Zusammmensein gefällt mir“, lachte Wille.
Und Rolf meinte: „Bis dahin geht noch etwas Zeit hin.“
Ich rechnete schnell im Kopf: „Keine Fünf Jahre mehr.“
„Ob wir das noch erleben?“ fragte Wille.
„Sicher werden wir es erleben!“ antwortete Rolf beinahe vorwurfsvoll, als wäre es ein Unding, daran zu zweifeln.
Ich beglückwünschte die Beiden zu ihrer langjährigen Partnerschaft.
„Es ist einfach so gekommen“, sagte Wille.
Wir kamen überein, dass sich die Länge einer Liebesbeziehung nicht planen lässt. Gern hätte ich mit Wille und Rolf weiter geplaudert, aber Rolf schaute auf die Uhr und blies zum Rückzug. Wille wäre wahrscheinlich noch geblieben. Sie hatte mehr noch als ihr Mann Geschmack an unserer Konversation gefunden.
Nachdem sie gegangen waren, bestellte ich bei Kei noch ein Bier. „Nette Leute“, sagte er. „Ja“, stimmte ich zu, „trifft man nicht so oft.“ Ich redete mit Kei noch ein Weilchen darüber, an was man nette und aufgeschlossene Menschen erkennt. Er meinte, dass er sich auch schon getäuscht hätte. Nicht wenige behandelten ihn von oben herab. Anscheinend sind Rolf und Wille eher eine Ausnahmeerscheinung. Ich trank mein Bier und beobachtete die Gäste. Es kam eine Gruppe Männer an die Bar, die mich von meinem Platz verdrängten. Aber ich war nicht sauer. Ich hatte an diesem Abend zu viel Gutes erlebt.