Mittwoch, 27. März 2013

Die Tage, die bleiben


Ich stelle mir das Leben bildlich wie einen Berg vor. Runter geht es schneller als hinauf. Wobei die Bergspitze eher einer Kuppe gleicht, die nur leicht gewölbt ist, so dass man ihr Überschreiten gar nicht recht wahrnimmt. Es ist leicht zu ignorieren, dass es in Zukunft abwärts gehen wird. Aber mit der Zeit nimmt man dann doch an Fahrt auf, und der Abbau ist nicht mehr zu leugnen. Anfangs ist es ein sanftes Gleiten. Man fühlte sich gerade noch prächtig, eben in der Mitte des Lebens. Man überschreitet die Fünfzig und will es nicht glauben. Die Jahre huschen immer schneller an einem vorüber. Die Schwerkraft der Vergänglichkeit hält einen im Bann. Es gibt kein Anhalten. Obwohl man das glauben könnte, wenn man sich z.B. alternde Stars in ihrem Bemühen des verzweifelten Abbremsens betrachtet. Oberflächlich scheinen sie zumindest einen Aufschub ihres Zerfalls hinzukriegen. Es ist auch nicht so, dass jeder Steuerungsversuch sinnlos wäre. Der Weg nach unten kann sehr kurvig sein. Sowieso gibt es immer auch die Gefahr des jähen Absturzes über eine Klippe oder in eine Spalte …


Die Mutter im Altenheim besucht. Ein großer Komplex, architektonisch und farblich nicht sehr ansprechend, aber innen alles sauber, modern und großzügig gestaltet. Ich war von dem Zimmer überrascht – sicher doppelt so groß wie die Zimmer in meiner Arbeitsstätte. Ich verbrachte den Nachmittag bis zum Abendessen bei ihr. Sie fühlt sich gut aufgehoben. Das Personal ist sehr nett, sagte sie, und sie bekommt viel Besuch. Ihr Zimmer ist wirklich hübsch und gemütlich. Wie aus dem Prospekt – wenn ich da an meinen Arbeitsplatz denke, wo alles mehr nach Pflegeheim aussieht und riecht, beengter und unordentlicher ist.
Ein ganzes Netzwerk von Menschen ist um meine Mutter bemüht. Ich kam mir beinahe fehl am Platze vor. Nun ist ihr nur noch zu wünschen, dass sich ihre Gesundheit stabilisiert, damit sie dort noch eine gute Zeit verbringen kann. Wenn der Frühling endlich kommt, kann sie im parkähnlich angelegten Außenbereich spazieren gehen. Auch einige Geschäfte sind zu Fuß gut zu erreichen.
Der Leimbach plätschert unweit vorbei. Kindheitserinnerungen werden wach. Ich tollte hier oft herum. Es veränderte sich zwar einiges, aber im Großen und Ganzen blieb das „Grundgerüst“. Ich war schnell wieder orientiert.
Mit dem Gefühl, dass Mutter gut untergebracht und versorgt ist, machte ich mich auf den Rückweg zu Fuß, mit Bus, S-Bahn, Straßenbahn ...



Jeder Mensch nimmt seinen Weg über den Berg des Lebens. Jedes Schicksal gestaltet sich anders. Es gibt nicht viel mehr zu sagen. Wir genießen die Tage, die bleiben.

ein literarisches Tagebuch

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