Donnerstag, 5. Juli 2012

TV-Tipp:

"Speed", 20 Uhr 15, VOX

(Action pur!)

Ist der Lack erstmal ab


Undurchdringlich ist die Welt. Am Besten man wühlt nicht, lässt alles, wie es ist, und kümmert sich nur um die alltäglichen Angelegenheiten: wäscht seine Unterhosen, geht Einkaufen, geht Arbeiten, geht zum Arzt, nimmt die Krankheiten hin, nimmt die Schmerzen hin, freut sich, wenn man gesund ist, geht ein Bier trinken, geht mit Kumpels feiern, liebt eine Frau, fickt, oder fickt nicht, schaut fern, schaut Fußball, schaut Pornos und macht es sich selbst, wird älter, wundert sich aber nicht, weil alles normal ist, weil es zum Geschäft gehört …, weil man sowieso nichts ändern kann.
Auch ich bin längst infiltriert vom Zombie-Dasein. Ich erinnere, dass ich mich lange dagegen wehrte. Ich fing damals an, Gedichte zu schreiben und alles zu hinterfragen. Die Erinnerungen werden blasser, und wenn ich die alten Gedichte wieder lese, verstehe ich sie nicht mehr. Teenager-Aufbegehren, denke ich. Was brachte es mir, außer dass ich zum Trinker wurde? Damals lag das ganze Leben noch vor mir, und ich verschleuderte es leichtsinnig im Rausch. Ich war zu jung, um mir das Älterwerden vorstellen zu können. Dabei dachte ich viel an das Sterben und den Tod. Zu viel. Das Leben warf eine Menge Fragen auf. Keine der Fragen konnte ich beantworten. Ein bisschen kratzte ich am Lack. Heute verstehe ich, dass der Lack wichtig ist. Man sollte ihn nicht weg kratzen. Er gehört zum Leben. Es ist ein Wunder-Lack, der vor morbiden Gedanken schützt. Ich machte mir morbide Gedanken für mindestens vier oder fünf Leben. Nun bin auch ich reif fürs Zombie-Dasein. Es kommt immer häufiger vor, dass ich gar nichts mehr empfinde. Aber das denke ich nur, denn ich lache nach wie vor. Nach wie vor bin ich da – wasche meine Unterhosen und gehe einkaufen, schaue Inspector Barnaby im Fernsehen oder was anderes. Auch trinke ich noch, aber ich trinke, wie ich esse. Es wurde zur Gewohnheit. Ich schmecke nicht mehr das Leben, wenn ich trinke. Ist es so? Schreibe ich über mich oder über einen anderen? Oder lebt in mir ein anderer?

Die Welt ist undurchdringlich. In den Nachrichten hörte ich, dass Wissenschaftler das Higgs- oder Gottesteilchen fanden. Angeblich ist es dafür zuständig, dass wir eine Masse haben. Darüber muss ich mal nachdenken. Ich fühle mich ziemlich schwer. Zu schwer oft. „Man muss sich das vorstellen wie ein Bassin voll Wasser“, sagte ein Wissenschaftler erklärend, „der Fisch schwimmt stromlinienförmig darin und hat also wenig Masse, während der Badegast rumpaddelt und also viel Masse hat.“ Ich sollte an meiner Stromlinienform dem Leben gegenüber arbeiten. Das war schon immer mein Problem, dass ich mich nur sehr bedingt anpasste. Kann man so einfach über seinen Schatten bzw. über seinen Dickkopf springen? Gebe ich mir genug Mühe?
Gibt es einen Lack zum Auftragen, der das Leben leichter macht?

ein literarisches Tagebuch

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