Dienstag, 18. Oktober 2011

Prag (3)


Im Regen



Es regnete Katzen und Hunde - das sah ich gleich, als ich am zweiten Tag am Frühstücksbuffet saß, und es würde so schnell auch nicht aufhören. Na gut, dann eben Prag im Regen, dachte ich. Ich trank immer 2 oder 3 Tassen Kaffee und aß ein Brötchen und ein Brot mit Schinken und Käse sowie ein hartgekochtes Frühstücksei. Dann war ich satt - proppesatt. Mein Zeug hatte ich schon dabei, so dass ich nur noch den Schlüssel abgab und in den Tag startete. Es war ziemlich häßlich draußen. Geduckt unter dem Regenschirm lief ich durch den River Town Market zur Straßenbahnhaltestelle. An der Rezeption hatte ich mir ein 24 h Ticket gekauft. Die Händler bauten noch an ihren Ständen herum - viele Asiaten, die jede Menge Schund-Klamotten anboten. Für das dünne Portemonnaie war`s aber wohl okay. An der Ecke zum Fluß war ein Mc Donalds, wo ich mich erstmal aufs Klo verzog. Kaum war ich morgens ein, zwei Kilometer gelaufen, mußte ich aufs Klo. Lästig der Scheiß.
Die Scheiben von der Tram waren ganz beschlagen, und ich wischte mit der Hand ein Stück frei, damit ich sehen konnte, wohin sie fuhr. Ich wußte ja in etwa die Richtung, in die ich wollte, und wohin ich nicht wollte. Erstmal war ich nur froh, im Trockenen zu sitzen.
Die Straßenbahn fuhr eine ewig lange Strecke bergan. Schließlich stieg ich oben auf dem Berg Hradschin aus, ganz in der Nähe von der Prager Burg. Das Pflaster glänzte vor Nässe. Es war wirklich ein scheußliches Wetter. Trotzdem machte ich das ein oder andere Photo. Nachdem ich mir einiges angeschaut hatte, machte ich mich wieder auf den Weg runter zur Moldau, zur Karlsbrücke. Da war nämlich ganz in der Nähe ein Svejk Restaurant - genau gegenüber vom Kafka-Museum. Die Svejk Restaurants bieten das billigste Pilsner Urquell in ganz Prag an - nur 32,90 Kronen für den Halben. Und man saß dort auch recht gemütlich. Das Personal trug weiße Poloshirts, auf denen Svejks rundes Säufergesicht aufgedruckt war. Das ist das Emblem dieser Restaurants.
"A big light beer, please", sagte ich zu der Bedienung und breitete mich mit meinen Sachen auf einer Holzbank aus. Sie hatten erst vor ein paar Minuten geöffnet, und ich war noch der einzige Gast.
Ich schrieb ein paar Postkarten, und danach las ich im "Der Fänger im Roggen".
"One more?" fragte die Bedienung.
"Yes", nickte ich kurz. So ging es immer hin und her. Ich habe eine ziemliche Ausdauer in solchen Dingen.
Ich hatte diesen Roman schnell in mein Herz geschlossen. Holden, der jugendliche Ich-Erzähler war wegen seiner schlechten Leistungen von der Schule geflogen, und da ging ihm ziemlich viel durch den Kopf, und das schrieb er auf, wie es ihm in den Sinn kam; jedenfalls liest es sich so, - als wäre der ganze Roman ein einziger Satz. Ich konnte Holdens Gedanken und seinem Witz gut folgen. Da waren verdammt viel kluge Sachen dabei, und er äußerte sie ganz lakonisch, jugendlich naiv. Oft mußte ich beim Lesen grinsen, und ich erwischte mich dabei, dass ich anfing, in seiner flapsigen Art zu denken. Ja, ich war wirklich drin in diesem Buch.
"One more?"
"Yes."
Zwischendurch schaute ich auf die Bedienungen, die noch nichts zu tun hatten, aber wie der Teufel hin- und herliefen, und ich schaute raus und sah, dass es immer noch Katzen und Hunde regnete, und ich sah einige Touristen, die stehenblieben und schüchtern ins Lokal schauten.
Natürlich wollte ich nicht ewig dort sitzen bleiben. Da hätte man mich am Abend raustragen können. Ich stelle mir vor, wie sie mich in eine Schubkarre gelegt hätten und vor dem Restaurant auf den Bordstein gekippt hätten - gegenüber vom Eingang zum Kafka-Museum.
Soweit kam es nicht. Ich weiß aber auch nicht mehr genau, wo ich an diesem Tag noch überall langschlappte. Aber ich weiß, dass ich nach dem 3.,4. Bier ziemlich regelmäßig pinkeln muß. Genaugenommen muß ich dann schon pinkeln, wenn ich nur ein Bier sehe.
Es gibt eben auch solche Piss-Tage, dachte ich.
Aber Ihr sollt nicht meinen, dass ich nur in Kneipen rumsaß. Ganz ehrgeizlos bin ich nicht. Und die Photos zeugen auch davon.
Ahoi!





irgendwo auf dem Hradschin





den Berg wieder runter





Blick in ein Gässchen





unten erstmal einen Espresso reingeschüttet





das Innenleben eines der Svejk Restaurants

ein literarisches Tagebuch

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