Wir sind Burnout
Ein Thema ist mal wieder in allen Journalien und Medien bis zum Erbrechen durchgeleiert worden. Jeder xte Deutsche ausgebrannt. Prominente vor! Sie outen sich als ausgebrannt vom Fußballtrainer bis zum Fernsehkoch. Ich lese in jeder Zeitschrift die selben schwammigen Aussagen. In regelmäßigen Abständen, alle paar Jahre, werden Themen wie Depression, Burnout, Angstneurosen, Panikattacken und Schlaflosigkeit neu aufbereitet. Inzwischen gibt`s andere Promis, die darunter leiden. Auch der Selbstmord eines VIPs ist stets ein prima Anlaß. Ich kann`s langsam nicht mehr hören. Dabei sind es tatsächlich ernstzunehmende Geschichten und Schicksale. Die Betroffenen stehen unter einem hohen Leidensdruck. Letztlich kommt wieder mal heraus, dass die Kassenpatienten viel zu lange auf eine Psychotherapie warten müssen, dass viel zu wenig Prävention am Arbeitsplatz stattfindet, dass im Gegenteil der Druck auf den Arbeitnehmer seit Jahren permanent wächst, dass in unserer Gesellschaft die falschen Werte vermittelt werden ...
Nun haben wir stundenlang in Talkrunden diskutiert, etliche seitenlange Artikel in Stern, Spiegel, Focus geschrieben, kluge Sprüche von Fachleuten dazu gehört, uns ergreifende Schilderungen von Betroffenen reingezogen ...; und nächste Woche stehen Potenzprobleme auf dem Programm: wieviel Orgasmen sind normal?
Liebe Leute, ich komme da nicht mehr mit! Möglicherweise ist diese ganze Gesellschaft bereits ausgebrannt. Jedenfalls ungeheuer abgestumpft. Oder? Alles dreht sich im Kreis. Irgendwie Korsakoff. Ich sehe keine Reaktionen. Wir lesen davon, als ob es uns nichts anginge. Es ist so ähnlich wie die alljährliche Doping-Diskussion. Es berührt uns schon gar nicht mehr. Die Protagonisten lügen sich in die Tasche. Das System macht uns offensichtlich bewegungslos. Also wird jedes Jahr dieselbe Schallplatte aufgelegt. So richtig blickt auch keiner durch. Was bedeutet nun Burnout? Ist doch eigentlich nichts anderes als eine Depression? Nur eben schicker augedrückt. Passt besser in unsere Mode- und Leistungsgesellschaft. Burnout ist hipp, und Depression ist no-go.
Wenn ich dazu in die Altenpflege schaue, kriege ich das kalte Grausen: Permanent zu wenig Personal, zu wenig Supervision, immer mehr fachliche Anforderungen an das Personal ..., Angst um den Arbeitsplatz. Da ist Burnout schon beinahe Normalität. Es ist bemerkenswert, wenn man da nach einigen Jahren noch nicht ausgebrannt ist.
Auch das Thema "Mißstände in der Pflege" wird alle Jahre wieder medial verschlissen. Ja, ich sage, bewußt "verschlissen". Wir stecken alles in eine riesige Blabla-Mühle und drehen es durch. Unten kommen dann immer dieselben Sprüche heraus: Wir müssen dies ... nachhaltig ... blablabla ... fördern ... und präventiv ... Aufklärung ... blablabla ... Transparenz ... Kontrolle ... im Rahmen des Qualitätsmanagements ... müssen ... Änderungen ... Reform ... blablabla ...
Nur ändern tut sich nicht wirklich was.
(Leute, ich bin auch ausgebrannt. Das ist alles zu viel für mich. So viel Scheiße. Tut mir leid, dass ich zum Schluß nichts Erfreulicheres sagen kann. Mir schwillt der Kamm! Ich darf nicht länger drüber nachdenken.)
bonanzaMARGOT
- 07. Okt. 11, 11:10
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