Freitag, 5. November 2010

Wir sind depressiv


In der aktuellen Ausgabe der Illustrierten "Stern" outen sich prominente und nicht prominente Menschen als depressiv - bzw. dass sie depressiv waren. Der Titel heißt: "Ich war depressiv". Anlass ist der Todestag von Torwart Robert Enke. Eine Welle des Mitleids und des Hinterfragens von Depression schwappte vor einem Jahr durch die Medien. Jeder A-, B- und XYZ- Prominente fühlte sich bemüßigt, zum Thema seinen Senf abzugeben.
Und nun die Neuauflage. Der "Stern" konfrontiert eine depressive Gesellschaft wiederholt mit dem Tabu-Thema Depression und Suizid. Ich fühle mich auch schon viel besser, wenn ich weiß, wer schon alles mit Selbstmordgedanken spielte. Offensichtlich eine Volkskrankheit ... Immerhin bringen sich durchschnittlich rund zehntausend Menschen pro Jahr in Deutschland um. Im Straßenverkehr stirbt nur knapp die Hälfte. Wahrscheinlich werde ich depressiv sterben, denke ich, ohne mich vorher umgebracht zu haben.
Oder ich komme unter die Räder.
Wie kann man eigentlich angesichts des immer näher rückenden eigenen Ablebens sowie der ganzen Quälerei durch Existenz, Beruf, Liebe nicht depressiv werden? Ich kann noch so viel saufen - die schwermütigen Gedanken bleiben.
Gegen Gehirnwäschen von Religion und Ideologie war ich (leider) schon immer immun. Und den Materialismus finde ich nur kurzweilig aufbauend. Wirklich glücklich können eigentlich nur Menschen sein, die ihr Glück, für welches sie sich entschieden, nicht hinterfragen - entweder aus Weisheit oder Naivität. Oder aus Angst.
Ich glaube, ich bin weder weise noch naiv. Angst habe ich allerdings schon. (Ich bin depressiv.)
Ich versuche mich durch das Leben zu wurschteln - wie es kommt. Es gibt kein Entrinnen. Drum spare ich mir den Weg zum Therapeuten oder Psychiater. Das einzige, was mir hilft, sind stoisches Ertragen und weitgehende Selbstbestimmung. Ja, und das Schreiben darüber: Das Veräußern meiner Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen. Die Liebe, wenn sie glüht ... und wärmt.
Das Leben bedeutet für jeden Menschen Kampf und Risiko. Ganz unterschiedlich gehen wir es an. Dabei sind wir tief in uns kaum auseinander. Spürbar z.B. in der Bewältigung gemeinsamer Not.
Dummerweise verlieren sich solch empathische Erlebnisse wieder im grauen, von Egoismen bestimmten Alltag.
...


Kürzlich sendete mir eine alte Freundin (Uschi) ein Karte. Darauf der Sinnspruch:

Für den wahren Lebenskünstler ist die schönste Zeit immer diejenige, die er gerade verbringt.
(Orson Welles)

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