Dienstag, 23. Oktober 2007

Komposition: Fast Zuhause



Von Basel kommend, in Karlsruhe umgestiegen in den IC. Eine Weizenbierlänge nach Heidelberg mit Lethargie in der Zugcaféteria.

Schlaflos

Durch den Eintopf führen Schienen. Während du schläfst und pfeifst wie eine Lokomotive, zähle ich die Schwellen. Ich zähle sie, während das Spionagesystem Nacht mit seinen dunklen Augen auf mir ruht und gleichsam in mich eindringt, so dass sich Traum und Realität wie ein verzweifeltes Liebespaar umarmen. Ich bin schlaflos. Ich zähle das Zählen. Die Zahlen werden zu Hügeln einer Bettdecke, zu Schienenschwellen einer Gedankenreise, zu schlafenden Vögeln. Sie kehren immer wieder zurück und fangen von vorne an. Mal in Zehnerschritten, mal nur in Zweierschritten. Zahlen tanzen den Bolero durch meinen Kopf. Ich zähle das Zählen - als wäre das ganze Universum aus Zahlen, die Muster bilden, sich in Spiralen umkreisen, mit zig Nullen explodieren und wieder implodieren. Ich suche die Primzahlen zu fassen, das Geheimnis ihrer Unteilbarkeit. Was macht den Schienenstrang, auf dem ich fahre, so geheimnisvoll? Warum wird das "darattatatt ...rattatat ... daratta ... darattatat ..." zu einer Melodie?
Du schläfst. Dein Atem pfeift dazu - auch ganz lustig. Ich dagegen bin schlaflos und träume unter den Spionen der Nacht. Ich zähle das Zählen und stolpere über die 2 und die 3, die 5, die 6, die 7, die 8, die 9 ... . Ich gleite in die Dunkelheit der Nullen. Ich sehe den Kilimandscharo mit seiner weißen Haube aus Schnee und Eis. Ich sehe einen Mann, der spricht: "Das Leben muss sich am Tod orientieren." Und ich weiß, dass er recht hat, weiß aber nicht warum.
Menschen sind zum Zählen verdammt. Nur der Tag und die Nacht lassen sich nicht zählen. Sie sind unteilbar Eins. Ich zähle die Augen der Spione. Ich zähle das Zählen., die Schwellen unter meinem Hintern. Man spürt das Vibrieren des Lebens, wenn man ganz still liegt, neben dem Herzschlag. Ein leichtes Zittern, mehr eine Ahnung; aber die Ahnung wächst mit der Stille. Sie kann sogar lauter werden als dein Schnarchen, lauter als die Partymusik in der Wohnung über uns. Ich zähle nicht die Zeit. Wie soll man die Zeit überhaupt zählen? Ich zähle mein Ich. Die Ahnung meines Lebens. So laut und schön und unbegreiflich.
Ich bin genervt, dass ich nicht schlafen kann. Erst als der Morgen dämmert, deckt mich der Schlaf doch noch zu. Wo war ich in der Nacht? Das zu erzählen ist unmöglich.

ein literarisches Tagebuch

Kontakt



User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

alien-lösung? da ging...
alien-lösung? da ging was an mir vorbei. ist aber eh...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:08
richtig. ich dachte nur,...
richtig. ich dachte nur, dass ich es meinen lesern...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:05
Wo ist denn das Problem?...
Wo ist denn das Problem? Durch die „Alien-Lösung” von...
C. Araxe - 7. Nov, 22:06
Wenn du ohnehin eine...
Wenn du ohnehin eine neue Blogheimat gefunden hast...kann...
rosenherz - 2. Nov, 13:51
Liebe Leser(innen)
Dieser Blog ruht fortan. Leider ist die Resonanz hier...
bonanzaMARGOT - 02. Nov. 19, 13:39
Zu den Rubriken (3)
28.10.2016 - ... 2019 - Reisen Back from Greifswald Aufgefangen Let zter...
bonanzaMARGOT - 14. Sep. 19, 08:36

Archiv

Oktober 2007
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
20
21
22
26
29
31
 
 
 
 
 

Neues in boMAs prosaGEDICHTE-Blog

Suche

 

Extras



prosaGEDICHTE (... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...)

↑ Grab this Headline Animator


Von Nachtwachen und dicken Titten

↑ Grab this Headline Animator



Status

Online seit 6309 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09