Montag, 30. Juli 2012

Herta Müller über den "Fremden Blick"


(nachdem sie bemerkte, dass sie bis in ihre Wohnung vom rumänischen Geheimdienst "Securitate" ausspioniert wurde)

"In diesem Alltag ist der Fremde Blick entstanden. Allmählich, still, gnadenlos in den vertrauten Straßen, Wänden und Gegenständen. Die wichtigen Schatten streifen herum und besetzen. Und man folgt ihnen mit einem Sensorium, das immerzu flackert und einen von innen verbrennt. So ungefähr sieht das dumme Wort Verfolgung aus. Und dies ist der Grund, weshalb ich es beim FREMDEN BLICK, wie man mir ihn in Deutschland bescheinigt, nicht belassen kann. Der Fremde Blick ist alt, fertig mitgebracht aus dem Bekannten. Er hat mit dem Einwandern nach Deutschland nichts zu tun. Fremd ist für mich nicht das Gegenteil von bekannt, sondern das Gegenteil von vertraut. Unbekanntes muß nicht fremd sein, aber Bekanntes kann fremd werden."

(aus "Der Fremde Blick" in der Essay-Sammlung "Der König verneigt sich und tötet" von Herta Müller)

TV-Tipp:

"Der Vorleser", 20 Uhr 15, Das Erste

Schlechtes Omen


Am Morgen träumte ich von einer Beerdigung in der Familie. Wir trafen uns vorher in einer spießigen Kneipe. Alle waren sie da, sogar mein Großvater, der schon einige Jahre unter der Erde liegt. Ich ging lächelnd auf ihn zu: „Kennst du mich noch?“ Wir umarmten uns kurz. Sein Griff war locker. „Kräftig bist du geworden“, meinte er.
Da noch etwas Zeit war, setzte ich mich abseits an die Bar und trank dunkles Bier. Als ich mich schließlich wieder der Trauergesellschaft (darunter viele Menschen, die ich gar nicht kannte) zuwendete, trat mir mein Vater entgegen und kläffte mich an: „Spinnst du?!“
„Wieso?“ entgegnete ich, „spinnst du?“ Mein Vater lief rot an und verpasste mir eine Backpfeife.
Beinahe hätte ich zurückgeschlagen, aber ich hielt im letzten Moment inne. Eine Kneipenschlägerei zwischen Trauergästen wollte ich dann doch nicht anzetteln. Mein Herz klopfte bis zum Hals vor Aufregung. Ich schluckte und sagte zu ihm: „Das wird Konsequenzen haben – ihr könnt allein auf die Beerdigung gehen!“
Nach dieser Szene wachte ich auf. Meine rechte Backe brannte leicht – ich war auf der rechten Seite gelegen. Als ich langsam zu mir kam, überlegte ich, wer denn da beerdigt werden sollte, wenn doch alle anwesend waren. Der Traum ist hoffentlich kein schlechtes Omen.

ein literarisches Tagebuch

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