Eduard Limonow "Fuck off, Amerika":



1. Kapitel: Das Winslow und seine Gäste
...
Und ich kam hierher.
Inzwischen habe ich erkannt, dass es sich überall gleich schwer atmet. Außerdem stehe ich hier von vorneherein auf der Seite der Verlierer, weil ich als russischer Schriftsteller russisch schreibe. Und ich mußte feststellen, daß ich mich an meinen verborgenen, verbotenen Ruhm gewöhnt hatte, an den Beifall des anderen Moskaus, des schöpferischen Rußlands, wo ein Dichter, anders als in Amerika, noch so etwas wie eine geistige Leitfigur ist, und wo es als ein großes Privileg gilt, einen Dichter kennenlernen zu dürfen. Hier ist ein Dichter ein Dreck, und Jossif Brodski, der in diesem Land schmachtet, sagte mir eines Tages, als er mich eines Tages in meinem Zimmer besuchte, wodkatrinkend: "In diesem Land braucht man eine Elefantenhaut. Ich habe eine, du aber nicht."


2. Kapitel: In der Hilton-Welt
...
Hatte ich jemals gedacht, dass ich eines Tages ein solches Leben führen würde? Nein, ich hatte nicht damit gerechnet. Ich, ein Russe, in einem Bohememilieu aufgewachsen! "Poesie und Kunst, das sind die beiden erhabensten Dinge, mit denen man sich auf dieser Erde beschäftigen kann. Der Dichter ist das wichtigste Individuum, das es auf der Welt gibt. " Diese Wahrheiten waren mir von Kindheit an eingeimpft worden. Und nun war ich, obwohl immer noch ein russischer Dichter, das elendste Individuum geworden. Das Leben hatte mir eins in die Fresse geschlagen ...

...
Was ich in erster Linie hasse, ist dieses System, begriff ich, als ich versuchte, mich selbst klarer zu sehen, dieses System, dass die Menschen von Geburt an pervertiert. Ich machte keinen Unterschied zwischen der UDSSR und Amerika.

...
Eines Tages erläuterte ich Wong in der Cafeteria, warum ich die Reichen nicht mochte. Da Wong sie auch nicht mochte, mußte ich ihn nicht erst davon überzeugen, dass alle Armen Revolutionäre oder potentielle Kriminelle sind, nur haben sich noch nicht alle für die eine oder andere Möglichkeit entscheiden können. Ich sagte bereits, daß ich diese geheimen Produzenten des Bösen verabscheute: die Reichen. Ich räumte ein, daß es auch unter ihnen Opfer des Systems geben mochte, aber ich haßte ihre ganze Gesellschaftsordnung, die manche vor Langeweile fast krepieren ließ, während andere schufteten und trotzdem kaum genug zu essen hatten. Ich wollte zu den Leuten gehören, "die alle gleich sind".


5. Kapitel: Meetings mit Carol
...
Für euch, ihr Provinzjournalisten und Studenten ohne Examen, die ihr Dank der Revolution an die Spitze eines riesigen Staates gelangtet, für euch war die Revolution eine schöne Realität. Aber für die Arbeiter? Für die gab es keine Revolution. Die Arbeiter müssen unter allen Regimen weiterschuften. Auch ihr habt ihnen nichts anderes anzubieten vermocht. Bis zum heutigen Tag weiß niemand, wie man das "Prinzip Arbeit" ändern soll. Ich meine, man muß an der Basis beginnen, und erst dann, wenn die herkömmliche Bedeutung des Wortes "Arbeit", also Arbeit, um Geld zum Leben zu verdienen, nicht mehr gültig ist, wird es eine wahrhafte Revolution geben.


8. Kapitel: Nachts auf den Straßen
...
Ich bin der Meinung, dass die Welt keine nationalen Unterscheidungen oder von diesen oder jenen Leuten gebildete Regierungen braucht, daß sie es nicht nötig hat, eine Bürokratie gegen die andere einzutauschen oder den Kommunismus anstelle des Kapitalismus einzusetzen. Die Welt lechzt nach der Ablösung dieser auf Menschenfeindlichkeit gegründeten Zivilisation, sie bedarf neuer Regeln des Zusammenlebens, einer wahren Gleichheit und Brüderlichkeit und nicht jener Phrasen, die die Franzosen einst in ihrer "großen" Revolution auf die Fahnen schrieben. Nach dieser verrotteten Zivilisation wird eine neue Zivilisation entstehen. In ihr wird die Spezies der Editschkas anders sein als die jetzt dahinsiechende, die Rasse der neuen Helenas wird auch anders sein, und niemand wird mehr eine Helena kaufen können, weil es nichts mehr geben wird, um sie zu bezahlen, es wird keine materiellen Vorteile zum Schaden anderer mehr geben.

...
Warum schreibt nicht einer von diesen feigen Schriftstellern, die das System verteidigen, daß die meisten Verbrechen auf die Machthaber des Systems selbst zurückzuführen sind? Wenn ein Mensch einen anderen umbringt und sein Geld nimmt, dann tut er es sicher nicht, weil ihm das Knistern der Banknoten so sehr gefällt.


10. Kapitel: Ich mache Money
...
Zugegeben, ich brauchte dieses Geld nur für schicke Kleidung, das ist mein einziger schwacher Punkt. Der Erwerb aller anderen Dinge hat mich schon immer angewidert, und diese Umzüge, der Anblick eines mörderisch, schweren Sofas, von Schränken und Tausenden von blödsinnigen Nippes entfernte mich noch weiter von der Welt der Dinge. Nach dem Tod des Besitzers bleibt dieses ganze Gerümpel doch zurück, sagte ich mir, während ich den Schrank von irgendeinem Johnson in die vierte Etage eines Hauses ohne Fahrstuhl wuchtete. Zum Teufel mit diesem alten Scheißkram. So was schaff ich mir nie an! schwor ich.

...
Was soll man dazu sagen, daß gerade die Arbeiter sich so gerne als Rassisten aufspielen? Mit den Riesenkrawallen von Boston hatten die Kapitalisten nichts zu schaffen. Es waren die Herren Arbeiter, die nicht wollten, daß ihre Kinder zusammen mit schwarzen Kindern zur Schule gingen!

...
Kennt ihr diese Melancholie, die einen dazu bringt, eine Maschinenpistole zu nehmen und einfach in die Menge zu ballern? Ich hätte es nicht getan, aber ich weiß, daß es solche trüben Stimmungen schnell vertreibt.


11. Kapitel: Meine Freundin New York
...
Das sind doch alles Egoisten dachte ich, wenn ich die "Künstler" von SoHo betrachtete. Sie suchen den Erfolg in der Gesellschaft, sie sind Zyniker und geben sich damit zufrieden, nichts weiter als ein Teil dieser kaputten Zivilisation zu sein. Wenn sie jung sind, protestieren sie mit ihrer Kunst, sobald sie aber merken, daß ihre Kunst sie nicht auch kommerziell befriedigt, werden sie veritable Stützen des Systems.

...
Es gibt in meinem Leben doch etwas Gutes: Beständigkeit. Ich habe festgestellt, daß ich die Legenden meiner Kindheit nie Lügen gestraft habe. Alle Kinder sind Extremisten. Ich bin ein Extremist geblieben, ich bin nicht erwachsen geworden, ich bin immer noch ein Heranwachsender, ich habe mich nicht verkauft, ich habe meine Seele nicht verpfändet, und deshalb - nebenbei gesagt - muß ich so schwer büßen.


Letztes Kapitel: Es ist Zeit
...
Eines Tages werde ich es euch zeigen, ihr Hunde, ihr Scheißer! Fuck off!

ein literarisches Tagebuch

Kontakt



User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

alien-lösung? da ging...
alien-lösung? da ging was an mir vorbei. ist aber eh...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:08
richtig. ich dachte nur,...
richtig. ich dachte nur, dass ich es meinen lesern...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:05
Wo ist denn das Problem?...
Wo ist denn das Problem? Durch die „Alien-Lösung” von...
C. Araxe - 7. Nov, 22:06
Wenn du ohnehin eine...
Wenn du ohnehin eine neue Blogheimat gefunden hast...kann...
rosenherz - 2. Nov, 13:51
Liebe Leser(innen)
Dieser Blog ruht fortan. Leider ist die Resonanz hier...
bonanzaMARGOT - 02. Nov. 19, 13:39
Zu den Rubriken (3)
28.10.2016 - ... 2019 - Reisen Back from Greifswald Aufgefangen Let zter...
bonanzaMARGOT - 14. Sep. 19, 08:36

Archiv

November 2007
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
11
15
16
18
20
21
22
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 

Neues in boMAs prosaGEDICHTE-Blog

Suche

 

Extras



prosaGEDICHTE (... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...)

↑ Grab this Headline Animator


Von Nachtwachen und dicken Titten

↑ Grab this Headline Animator



Status

Online seit 6309 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09