Am Ende Krautwickel

Basel war voll. Auf allen Plätzen war die Herbstmesse zu Gange mit Ständen und Fahrgeschäften. Basel war auf den Beinen. Die Trams schienen mir noch mehr über die Füße zu fahren als sonst. In der Stadt bewegte ich mich meist zwischen Barfüsserplatz und Claraplatz. In deren Nähe befanden sich die Kneipen, welche ich aufsuchte, um mich von der Hektik, dem Verkehr, der Kälte und dem Business zurück zu ziehen. Über den Rhein flatterten die Möwen im Wind, oder sie schaukelten blendend weiß auf den Wellen wie Papierschiffchen. Die Sonne hielt manchmal ein Stelldichein. Lange Spaziergänge machte ich nicht. Schnell saß ich in einer ausgewählten Kneipe, bestellte eine Stange und las. Ich las "Fuck off, Amerika" von Eduard Limonow. Ich las den autobiografischen Roman fast in einem Ritt. Limonow (ein Russe) schreibt darin über seine Emigration, seine Zeit als Herumtreiber in New York (Mitte der Siebziger). Das Buch ist ein einziger Wirbelwind aus Zivilisationskritik und beißender Ironie. Ich schlappte mit Limonow durch Basel und New York, zwischenzeitlich in Gedanken mehr in New York und Limonows Verrücktheiten als in Basel - dem Basel im Herbst 2007, einem bunten Städtchen am Rhein, das sich sauber und ordentlich, ebenso langweilig und bieder präsentierte. Die Kneipen, welche ich aufsuchte, stellten bereits die Nischen des sauberen Schweizer Bürgertums dar. Dort verkehrten wohl mehr die Bürgerschrecke. Oder die Franzosen, Intellektuelle und Künstler, die es zumindest sein wollten. Oder eine Anzahl von Studenten. Das "Mr. Pickwicks", Nähe Barfüsserplatz war da eher eine Ausnahme - eine englische Sportkneipe, wo das Bier sündhaft teuer ist.
Ich setzte mich wie immer an die Bar und trank das billigste Bier, das im Angebot war. Auf den TV- Bildschirmen, die überall in der recht geräumigen Wirtschaft herumhingen , liefen den ganzen Tag Sportwettkämpfe, welche Engländer interessieren könnten: Fußball, Polo, Cricket und all so ein Zeug.
In diesem Pub verkehrten hauptsächlich Engländer, und nicht wenige. Ich fragte mich, was die alle in der Schweiz zu tun hatten. Ja, Basel beherbergt eine bunte Mischung aus Völkern. In Kleinbasel (rechtsrheinisch) war das Treiben am buntesten. Großbasel war dagegen mehr in Schweizer Hand. Als Besucher sehe ich nicht so sehr die feinen Nuancen. Ich saß auf dem Barhocker in "Mr. Pickwicks", weil mir die Atmosphäre ganz gut gefiel, und weil ich ab und zu Cricket, diese mir geheimnisvolle Sportart, betrachten konnte - ich rätselte dann immer, was wohl die Regeln seien. Außerdem lauschte ich gern dem Englischen, um zu prüfen, was ich davon noch verstand. Sehr oft bin ich enttäuscht wegen meiner verloren gegangenen Sprachkenntnisse.
Es war bereits dunkel. Draußen wirbelten die Herbstblätter im Licht der Laternen sowie die Flut der feierabendlichen Einkäufer oder Müßiggänger wie ich. Im rechten Winkel zu mir saßen ein Mann und eine Frau an der Theke. Ich versuchte ihrem Gespräch unauffällig zu folgen und bekam so viel mit, dass sie eine Pianistin war und er ein Araber, ein Geschäftsmann, der in "Fashion" machte. Ich fummelte mir die Worte, die ich heraushörte, zu einem Sinn zusammen. Kurz überlegte ich mir, ob ich wieder mit Limonow durch New York streunen sollte, aber ich ließ die Lektüre in der Tasche - denn die Pianistin hatte es mir angetan. Der arabische Geschäftsmann und die Pianistin unterhielten sich auf Englisch.
Ich weiß nicht mehr, wie ich mich in das Gespräch einmischte; der Araber war gerade auf Toilette. Ich betonte, dass ich nicht stören wolle. Ich kann schwer sagen, ob der Araber über einen zusätzlichen Gesprächspartner sonderlich erfreut war, als er vom Pinkeln zurückkam. Sein Gesicht war schwer zu lesen. Aber sicher war er höflich, denn er bot mir von seinen Zigaretten an. Ich glaube, wir sprachen ganz allgemein über die Völkerverständigung. Ich ratebrach mit den Rudimenten meines Schulenglischs; und Worte, die mir nicht einfielen, übersetzte die Pianistin. Sie schien sehr amüsiert von meiner Gegenwart zu sein, denn manchmal verschwand sie, in schallendes Gelächter ausbrechend, in dem Treppenabgang zur Toilette. Wir mussten ein komisches Trio abgeben: Der leicht distinguierte, arabische Geschäftsmann, die temperamentvolle, einheimische Pianistin und ich. Wir stellten uns einander vor, aber ich vergaß ihre Namen wieder; ich war nicht mehr ganz nüchtern. Ich betrachtete die schönen Hände der Pianisten, ihr gelocktes, braunes Haar, ihre intelligente Stirn, das Funkeln ihrer Augen ... und ihr Lachen. Natürlich, ganz so schnell verliebe ich mich nicht; aber irgendwann kommt man der Sache langsam näher. Vielleicht wäre ich bei den Beiden hängen geblieben, wenn ich nicht doch das Gefühl gehabt hätte, dass ich störte - zumindest meinen männlichen Konkurrenten; die Absichten der Frau konnte ich nicht einschätzen. Als der Araber mal wieder auf Toilette war, sagte sie mir, dass sie aus Langeweile froh über die Unterhaltung mit ihm gewesen wäre. Ich sagte, dass es mir genauso ginge. Sie trank Whiskey. Daneben stand eine Karaffe Wasser. Sie würde davon nie richtig betrunken, meinte sie, ich solle es auch mal probieren.
Nichtsdestotrotz, ich musste gehen. Meine türkische Gastgeberin wartete mit dem Essen. Bevor ich mich mit einem Händedruck verabschiedete, schnorrte ich von dem Araber noch eine Zigarette ...
Er hatte bereits den zweiten oder dritten Drink der Pianistin spendiert - ich glaubte darum nicht, dass ich seine Höflichkeit überstrapazierte. Von der Haltestelle Barfüsserplatz ging meine Tram, Linie 3. Es war früher Abend, gegen sieben Uhr. Ich verpasste den Ausstieg und musste zwei Haltestellen zurücklaufen. In der Colmarerstrasse gab es Krautwickel.
virago - 09. Nov. 07, 20:23

Du solltest mehr von diesen Alltagsgeschichten schreiben. Du kannst das.

bonanzaMARGOT - 09. Nov. 07, 21:00

Danke Virago

es ist reizvoll. Ich kokettiere oft mit der Prosa.
virago - 09. Nov. 07, 21:09

Warum dann nicht öfter? Du kannst es genauso gut wie Prosagedichte.
bonanzaMARGOT - 09. Nov. 07, 21:12

Weil es zeitraubender ist

Außerdem schreibe ich nicht gern tausende Seiten für den Mülleimer.
virago - 09. Nov. 07, 21:44

Zeitraubender

als ein Gedicht? Das kann ich mir nicht vorstellen.
Ich schreibe ständig für den Mülleimer. 80% dessen was ich schreibe lösche ich wieder. Von den 20% die ich nicht lösche veröffentliche ich mittlerweile wahrscheinlich fast 50%, doch das ist ein Fehler. Darunter ist immer noch viel zu viel Schrott.
Freni - 09. Nov. 07, 21:28

Wirklich schön geschrieben,

dein Aufenhalt in Basel und deine Bekanntschaft mit dem Araber und der Pianisten. Mir gefallen deine Gedichte und Geschichten. Du kannst wirklich gut schreiben.

Bloss gut, dass die Pianisten nicht alleine war.

Freni

bonanzaMARGOT - 09. Nov. 07, 21:49

Bloss gut

dass ich wenigstens wusste, dass Schubert Klaviersonaten schrieb. Leider sagte ich ein paarmal "Schuhmann" ...
bonanzaMARGOT - 09. Nov. 07, 21:55

Virago

ich kann nichts dafür, dass Prosa im Allgemeinen zeitraubender und aufwendiger ist als Lyrik, bzw. die von mir bevorzugte Form des Prosagedichts.
Dazu kommt, dass Prosa im Internet weniger gelesen wird.
Das weißt du doch aus den Foren auch.

F.
virago - 09. Nov. 07, 22:00

Das geht so:

Er: Meine Liebe, Sie spielen wunderbar! Beethovens Mondscheinsonate faszinierte mich schon immer.
Sie: Aber mein Herr, ich spiele doch Schubert!
Er: Selbstverständlich, Allerwerteste. Ich meinte ja boß. Bestimmt spielen sie auch Beethoven ganz vorzüglich

*g*

Bei Misserfolg Geld zurück.

(Ist natürlich nur ein Scherz. Ich mache sowas nie. Und mir ist es auch peinlich, wenn ich Namen verwechsle.)
virago - 09. Nov. 07, 22:04

Du sollt schreiben, was dir Freude macht!

Was anderes bringt nix. Und das, was du schreibst, weil du nicht anders kannst - das wird auch gelesen.
bonanzaMARGOT - 10. Nov. 07, 11:14

Prosa kann ab einer gewissen Länge

nicht nur Freude machen. Es ist schlicht Arbeit. Auch Geduldsarbeit.
Ich bewundere Leute, die hunderte Seiten schlechte Literatur schreiben, ohne dass es sie frustriert.
virago - 10. Nov. 07, 18:56

"Ich bewundere Leute, die hunderte Seiten schlechte Literatur schreiben, ohne dass es sie frustriert."

Na wunderbar. Mich frustriert es, dass meine hunderten Seiten nicht gut genug sind, um meine Selbstzensur zu passieren. Zufrieden? ;).
Freni - 10. Nov. 07, 20:51

Schreiben

"Prosa kann ab einer gewissen Länge nicht nur Freude machen. Es ist schlicht Arbeit. Auch Geduldsarbeit.
Ich bewundere Leute, die hunderte Seiten schlechte Literatur schreiben, ohne dass es sie frustriert."

Schreiben ist Schwerstarbeit und zeitaufwendig. Überhaupt erst mal ein Thema zu finden, was nicht schon hundert-tausendmal in der Literatur durchgekaut wurde, muss eine Qual sein. Ich glaube, manche Schreiber merken gar nicht, dass sie hundert und mehr schlechte Seiten schreiben. Bei Autorin die einen hohen Bekanntheitsgrad haben, ist das möglicherweise auch Provokation.
Ranicki hat mal so oder so ähnlich gesagt, dass es darauf ankommt eine bekannte Story so zu schreiben, dass sie den Leser gefällt.

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