Der Tod kommt immer überraschend


„Auch wenn man weiß, dass der Tag kommt, ist man dann doch überrascht, wenn es so weit ist“, sagt die alte Frau. Ich stehe neben ihr am Bett ihres verstorbenen 97 jährigen Mannes. Vor der Tür warten die Bestatter, um ihn abzuholen. Sie berührt seine gefalteten Hände. „Er hatte schon die letzten Tage so kalte Hände. Ach!“ seufzt sie, „wir müssen ja alle mal sterben.“ „Ja“, erwidere ich, „das wird auf uns alle zukommen.“
Es ist bereits spät am Abend. Tochter und Schwiegersohn stehen auch draußen. Sie machen Druck. Sie sind bereits vier Stunden da, - wollten noch warten, bis die Bestatter kommen. Ich sehe sie als Nachtwache zum ersten Mal. Die wenigsten Angehörigen kenne ich und begegne ihnen erst bei einem Sterbefall. Sie erzählen mir, dass sie auf der Fahrt nach Tirol waren. Der Tod des Vaters kam schließlich doch schneller als gedacht „Aber sollen wir deswegen unsere ganzen Pläne ändern?“, sagt mir die Tochter. Sie hat rot-verweinte Augen. Ich antworte, dass ich Verständnis dafür habe, wenn man als Angehörige nicht rund um die Uhr verfügbar ist.

Ich stehe mit Frau B am Bett ihres verstorbenen Mannes und spüre, dass sie zwar weiß, was passierte, es aber noch nicht fassen kann. Sie sträubt sich ein wenig dagegen, dass er nun abgeholt wird. Von draußen erklingt die ungeduldige Stimme des Schwiegersohns, dass sie nun kommen solle, damit die Bestatter ihre Arbeit machen können. Nein, so drastisch sagt er es nicht. Auch ich bin unter Druck, weil inzwischen einige Klingeln aufleuchten.
Schließlich folgt Frau B unter gutem Zureden. Ich halte ihre Hand.
Als ich von den Klingeln zurückkomme, ist alles erledigt. Ich bringe Frau B zu Bett. „Wir waren sehr lange zusammen“, sagt sie, „warum lässt uns der Herrgott am Ende so leiden? Warum nimmt er uns nicht früher zu sich?“ „Ich weiß nicht“, sage ich und helfe ihr in den Schlafanzug, „den Plan des Herrgotts kenne ich nicht.“ „Ja, den kennt niemand“, meint sie.

Es ist fast Mitternacht, als ich endlich etwas Luft habe, um mich auszuruhen. Die Müdigkeit kommt wie eine dunkle Wand auf mich zu. Ich versuche mich mit Fernsehen abzulenken. Ich sehe im Laternenlicht Schneewehen: Der Wind zaubert gespenstische Skulpturen in die Nacht. Das TV-Programm läuft an mir vorbei. Die Altenheimbewohner sind unruhig und lassen eine längere Verschnaufpause kaum zu.

Am Morgen, als die Kollegen mich ablösen, setzt Eisregen ein. Noch eine Nacht, denke ich.

Max (Gast) - 21. Jan. 13, 11:48

Lieber Gott!

ich kenne deine wege nicht, aber wenn sich nicht bald etwas ändert, musst du alleine weitergehen.

bonanzaMARGOT - 21. Jan. 13, 11:49

sehr witzig.
schlafmuetze - 21. Jan. 13, 21:29

Hallo Bonanzamargot .. :-)

Also dein Nick .. :-) ..

Es ist sehr schade, wenn es in den letzten Stunden irgendwie so "schnell" gehen muß. Das ist traurig. Die Zeit zum Abschied nehmen muß doch sein.
Vermutlich ist es im Altenheim geregelt, bis wann ein verstorbener Bewohner abgeholt werden muß?
Mein Schwiegervater ist gegen 18 Uhr zu Hause gestorben. So durfte er bis zum nächsten Tag bleiben und alle Nachbarn kamen am Abend noch zum Abschied nehmen vorbei; auch einer seiner Söhne, der auf einer Feier war und nicht zu erreichen war, hatte morgens noch die Möglichkeit, in Ruhe Abschied zu nehmen. Wir haben es als sehr angenehm empfunden dass es weder Hektik noch Eile gab.
Grüßli :-)

bonanzaMARGOT - 22. Jan. 13, 10:33

hallo schlafmuetze

danke für deine antwort.

dummerweise haben wir keinen aufbahrungsraum.
wenn die verstorbenen in einzelzimmern liegen, können sie dort bis zum nächsten tag bleiben. es ist den angehörigen überlassen, wie lange sie abschied nehmen wollen.
in diesem fall wollte man die frau nicht neben ihrem verstorbenen mann schlafen lassen. ich hätte es zugelassen, wenn es der ausdrückliche wunsch der frau gewesen wäre.
der mann starb am frühen abend und wurde erst viele stunden später bei mir in der nacht abgeholt. von hektik kann man eigentlich nicht reden.
als dann die bestatter vor der tür standen, kam dann doch situationsbedingt etwas hektik auf, weil tochter und schwiegersohn es endlich hinter sich haben wollten. und der frau wurde da plötzlich bewusst, dass ihr mann nun quasi für immer fortgeht.
das wäre wohl auch am nächsten morgen noch so gewesen ... ich weiß nicht.

ein literarisches Tagebuch

Kontakt



User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

alien-lösung? da ging...
alien-lösung? da ging was an mir vorbei. ist aber eh...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:08
richtig. ich dachte nur,...
richtig. ich dachte nur, dass ich es meinen lesern...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:05
Wo ist denn das Problem?...
Wo ist denn das Problem? Durch die „Alien-Lösung” von...
C. Araxe - 7. Nov, 22:06
Wenn du ohnehin eine...
Wenn du ohnehin eine neue Blogheimat gefunden hast...kann...
rosenherz - 2. Nov, 13:51
Liebe Leser(innen)
Dieser Blog ruht fortan. Leider ist die Resonanz hier...
bonanzaMARGOT - 02. Nov. 19, 13:39
Zu den Rubriken (3)
28.10.2016 - ... 2019 - Reisen Back from Greifswald Aufgefangen Let zter...
bonanzaMARGOT - 14. Sep. 19, 08:36

Archiv

Januar 2013
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 

Neues in boMAs prosaGEDICHTE-Blog

Suche

 

Extras



prosaGEDICHTE (... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...)

↑ Grab this Headline Animator


Von Nachtwachen und dicken Titten

↑ Grab this Headline Animator



Status

Online seit 6281 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09