Singularität


Bams bims bums. Menschen zu Fuß, Menschen in Autos, Menschen in Flugzeugen, Menschen in Häusern. Menschen in Kleidern. Wie angezogene Ameisen mit Tragetüten und Taschen. Schaufensterpuppen stehen Spalier. Winken. Zwinkern mir zu. Mir wird es zu eng, und ich hebe ab. Ganz ohne Jetpack. Oder mit? Vielleicht befinde ich mich in der Zukunft. Ich schwebe über dem bunten Menschenstrom. Relativ ziellos. Ich steige höher über die Dächer und sehe links von mir den Neckar silbern in der Sonne funkeln. Rechts vor mir das alte Gemäuer des Heidelberger Schlosses. Mit wie vielen Frauen ging ich dort spazieren? Im Sommer. Im Herbst. Im Winter. Im Frühling. Oder in der fünften Jahreszeit. Ich habe meine ganz eigenen fünften Jahreszeiten. Unwillkürlich weine ich, und die malerische Kulisse verschwimmt vor meinen Augen. Sanft lande ich auf dem Universitätsplatz. Unweit liegt eine Sparkasse, und ich tätige eine notwendige Überweisung. Noch immer seufze ich, ausgefüllt von sentimentalen Bildern und Gedanken. Ich nehme nicht wahr, dass sich die Welt um mich verändert. Bims bums bams. Alle Menschen sind verschwunden, und ich befinde mich ganz alleine in der Stadt. Ich gehe ins Coyote Cafe. Auch dort keine Menschenseele. Nach einer Weile an der Bar denke ich: „Nun muss ich mir mein Bier auch noch selbst zapfen ...“ Ein großes Gefühl der Trostlosigkeit überkommt mich. Ich erinnere mich an einen Science Fiction Film „Quiet Earth“ von 1985. Da wacht ein Typ morgens auf, nachdem er sich eigentlich umbringen wollte, und er scheint plötzlich ganz allein auf der Erde zu sein. Mich beeindruckte der Film sehr – mehr das Szenario absoluter Einsamkeit und weniger die Auflösung dieser Absonderlichkeit.
Bums, bims bams. Plötzlich sind alle wieder da. Die Kellnerin fragt mich, was ich trinken will. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch, lächele und stottere ein wenig: „Ein ... dunkles – äh - Hefe, bitte.“ Erleichtert krame ich in meiner Umhängetasche. Ich will eine Postkarte schreiben, wie ich es oft an der Bar des Coyote Cafes machte. Ich habe immer ein paar Postkarten dabei. Ich suche bereits nach einer passenden Karte, da fällt mir ein, dass es keine Adresse mehr gibt, der ich schreiben könnte …
Die Kellnerin stellt das Bier vor mich auf die Theke. Ich packe den Kartenstapel wieder ein. Gegenüber ist ein Spiegel, in dem ich meine linke Hälfte sehe. Ich sehe mir dabei zu, wie ich trinke. Beinahe verschlucke ich mich. Aus.

ein literarisches Tagebuch

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