Der Rückzug des Sinnlichen

...ist im Zeitalter der Digitalisierung in vielen Lebensbereichen zu beobachten. Da ist z.B. der E-Reader, welcher das Buch ersetzt. David Ramirer machte mich (in seinem letzten Kommentar) darauf aufmerksam, wie sinnlich wir doch mit den herkömmlichen Büchern verbunden sind:
„…das zieht sich hin von haptischen und olfaktorischen Streichel- und Schmuseeinheiten, versunkenen Leseorgien, exzessivem ins Buch schreiben und Eselsohren als Lesezeichen machen bis hin zu in die Ecke knallen, wenn der Mist nicht auszuhalten ist.“ *
Ich füge hinzu, dass sie oft auch dekorativen Zwecken dienen. In der Schrankwand stehen ordentlich aufgereiht die Deutschen Klassiker, schön eingebunden, sowie sämtliche Bände von Brockhaus. Aus ihnen duftet der Geist der deutschen Dichter und der Aufklärung. War das noch echte Wohnzimmerkultur!? Zusätzlich das Hirsch- oder Auerhahngemälde an der Wand über der Couchgarnitur – welch Augenschmaus beim abendlichen Zusammenklönen in der Familie oder unter Bekannten…, - welch wunderbares spießiges Absurdistan, schon immer geschmacklos und muffig – und als solches Spiegelbild menschlicher Einfältigkeit, verkrampft sinnlich zwecklos dumm.
Und heute? Wir sitzen inmitten einer Technikkultur, die nichts als öden Funktionalismus ausstrahlt, - wenn überhaupt, denn vieles ist einfach nur Schnickschnack. Worin liegt der Unterschied zu damals? Äußerlich hat sich unleugbar einiges getan. Aber Mief und Geschmacklosigkeit blieben. Es passierte nichts anderes als eine Übersetzung in unsere mehr und mehr technisierte und digitalisierte Welt.
Doch einen Rückzug des Sinnlichen gibt es wirklich auf vielen Gebieten. Ich nannte das Beispiel des Buches. Wir erlebten es auch, als die alte Schallplatte durch die CD und andere Speichermedien ersetzt wurde. Es gehörte damals dazu, der neuen Freundin seine Schallplattensammlung zu zeigen, und anschließend beäugte sie das Bücherregal… Was damals Usus war und von der Entwicklung überrollt wurde, ist heute wieder angesagt. Vinyl ist in. So läuft der Hase. Alles wird wieder und wieder durchgekaut. Heute kommen die E-Reader, und morgen sind Bücher wieder schick, zumindest als Deko.
Nichts ändert sich wirklich. Am Besten merken wir es am Sex. Er wird niemals besser, bloß weil man ein paar Stellungen wechselt.



* dabei denke ich vor allem an meine alten Schulbücher - Gott habe sie selig...

NBerlin - 20. Jan. 18, 12:22

Ich stehe weiterhin auf Bücher aus Papier, auch wenn ich einen E-Reader habe. Vergessen hast du jedoch die Angeberfunktion einer guten Buchsammlung. Ich hatte schon Besucher, die von meiner Büchersammlung etwas eingeschüchtert waren.

bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 12:25

natürlich - die angeberfunktion ist elementar dabei! sonst zeigte man doch nicht als junger hirsch seiner angebeteten die plattensammlung...
auch zwischen meinen eltern und ihren bekannten gab es diesen wetteifer, der sich aber mehr auf die wohnungseinrichtung, das auto und den letzten urlaub bezog.
bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 12:32

ja, ein gefülltes bücherregal kann je nach inhalt schon einschüchternd wirken.
ich habe nun nicht mehr so viele bücher wie früher rumstehen, nur noch meine lieblingsliteratur. und die schüchtert, glaube ich, niemanden ein.

was glaubst du, was die leute an deiner büchersammlung einschüchterte? die menge an büchern oder die auswahl?
NBerlin - 20. Jan. 18, 12:41

Bisher war es eher die Menge, auch wenn ich es gar nicht soviel finde, es ist halt ein großes Regal voller Bücher, allerdings mit noch einigen Büchern aus meiner Studentenzeit. In diesem Regal befinden sich übrigens auch noch reichlich Schallplatten. ;-)
steppenhund - 20. Jan. 18, 12:57

Also ein Großteil meiner Bücher befindet sich in unserem Schlafzimmer, an allen Wänden. Und die im Wohnzimmer sind in einem großen Bücherschrank mit Rauchglas und da fallen sie nicht so auf.
Also meine 4500 Bücher schüchtern niemanden ein, das besorge ich schon selbst :)
bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 12:57

@ nberlin

hast du noch einen schallplattenspieler?
in meinem kopf streiten sich zwei geister. der eine sagt: weniger ist mehr. und der andere: ach, irgendwie vermisse ich die alten sachen (z.b. auch meine schallplatten).
bei mir siegt meistens die stimme, die mir sagt, ich sollte den krempel loswerden. mit weniger fühle ich mich einfach unabhängiger. ganz allgemein.
im extremfall habe ich die idee, aus dem koffer zu leben...
bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 13:00

@ steppenhund

ich fühlte mich von dir nicht eingeschüchtert :)
steppenhund - 20. Jan. 18, 13:15

Wie sollte ich in meinem Methusalem-Alter jetzt noch jemand einschüchtern können? :)
bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 13:26

lass dich mal drücken. (der altenpfleger in mir kehrt zurück.)
in 10 jahren werde ich altersmäßig da sein, wo du jetzt bist. falls ich`s überhaupt schaffe.
zum methusalem fehlen dann noch ein paar jahre.
NBerlin - 20. Jan. 18, 13:43

Ja ich habe noch einen Schallplattenspieler. Aber ehrlich gesagt, den habe ich lange nicht benutzt.
bonanzaMARGOT - 20. Jan. 18, 13:47

ist inzwischen auch umständlich, oder wir empfinden es als umständlich - falls man kein vinyl-nerd ist.
ich höre meine musik nur noch aus dem computer bzw. internetradiosendern.
NBerlin - 20. Jan. 18, 17:23

Ich habe mittlerweile auch fast alles von mir auch als Mp3 und die Musik kommt meist aus dem iPod. Ist irgendwie bequemer wenn man so stundenlang ohne Unterbrechung Musik hören kann.
Treibgut - 21. Jan. 18, 19:26

e-book-reader

... finde ich auch nicht "sinnlich" und kaufe lieber richtige Bücher. Auf Reise, wenn es um Gewichtsreduzierung geht, hat so ein Teil aber unbestritten Vorteile.

bonanzaMARGOT - 22. Jan. 18, 05:27

vor allem wenn man längere zeit unterwegs ist - da gebe ich dir recht.
ob ich mir nun darum einen e-book-reader anschaffe, wenn ich im jahr bestenfalls 1x einen wirklich brauchen könnte, weiß ich nicht.
la-mamma - 22. Jan. 18, 14:02

ach wissen sie, ich hab meinen e-book-reader immer so schnell ausgelesen, das ist auch ein problem, wo ich die ganzen alten lagern soll;-)
ganz im ernst: ich les so viel, dass ich mitterweile spätestens jedes jahr einen neuen brauche, die überlebensdauer der angeblich besten geräte ist nicht gerade groß.

bonanzaMARGOT - 22. Jan. 18, 14:44

Wow!

Sie lesen die E-Book-Reader in Grund und Boden - wo nehmen Sie die Zeit dafür her?
Oder ist es einem unsachgemäßen (möglicherweise zu sinnlichen) Umgang mit den Geräten geschuldet?
la-mamma - 24. Jan. 18, 22:00

mhmm, da könnt was dran sein. obwohl ich wirklich versuche , die dinger pfleglich zu behandeln - schließlich liebe ich sie doch;-)
bonanzaMARGOT - 25. Jan. 18, 05:45

ja, das gibt`s: kaputt geliebt.

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