Von Baum zu Mensch


Der Sonntagvormittag zog sich. Menschen strömten in den Park. Das Wetter war eher bescheiden, aber es regnete wenigstens nicht. Durchs gekippte Fenster drang Kindergeschrei vom nahen Spielplatz an meine Ohren, unterbrochen von den vorbeirollenden Blechmonstern. Wenn ich rausschaute, guckte ich nicht nur auf die Straße und die Hausfassade gegenüber, sondern auch auf die in mein Blickfeld ragenden Äste zweier Bäume, welche mit sommerlichem Grün die Kulisse einrahmten.
Ich hing in meinem Zimmer relativ leblos ab und schaute immer wieder hinaus. Meine Gedanken malten mit eintönigem Pinselstrich die vorgegebenen Minuten und Stunden aus. Spaßhalber fragte ich den Baum rechterseits vom Fenster: „Wie geht`s denn so, Old Boy?“ Ich fand diesen Baum, an dem ich fast täglich vorbeikam, wenn ich das Haus verließ, sehr sympathisch. Sein Gleichmut und seine Unaufdringlichkeit beeindruckten mich. Er strahlte in gewisser Weise eine ungeheure Abgeklärtheit den Dingen und der Welt gegenüber aus. Und das auch noch vollkommen authentisch.

„Bullshit!“
„What?“
„Ja, Mensch, ich bin`s, der Baum, an den du gerade dachtest.“
„Na klar“, sagte ich ungläubig und erhob mich von meinem Schreibtischplatz, um nachzuschauen, ob mir vielleicht ein Idiot auf dem Gehweg einen Streich spielte. Aber dort war im Moment niemand.
„Du kannst mir ruhig glauben. Ich höre oft den Gedanken der Menschen zu. Ganz selten mische ich mich ein. Deinen Gedanken lausche ich bereits eine ganze Weile, Mensch. Und heute konnte ich nicht anders…“
„Na dann“, meinte ich leicht trotzig. Ich glaubte immer noch nicht recht daran, dass ich gerade mit einem Baum sprach.
„Also erstens bin ich aus Baumsicht kein Old Boy, und zweitens gar nicht so abgeklärt, wie du meinst.“
„Entschuldige. Natürlich habe ich keine Ahnung, was einen Baum am Straßenrand so umtreibt. Ich finde es einfach schön, dass du da bist. Ich bezeichne mich inzwischen selbst als einen Old Boy. Ich meinte das nicht abschätzig. Im Gegenteil.“
„Schon gut. Das war Baum-Humor.“
„Haha!“
Straßenrand war übrigens ein gutes Stichwort, Mensch. Würdest du gern wie ich Tag für Tag an meinem Platz stehen? Ich habe keine Beine wie du, um wegzulaufen. Meinst du, dass es mir hier besonders gefällt?“
„Weiß nicht. Woher soll ich das wissen, Baum?“
„Du kannst mich ruhig weiter Old Boy nennen – haha – denn ich fühle mich gar nicht als Baum…, also in dem Sinne, in welchem die Menschen von Bäumen reden.“
„Okay. Dann nenne mich bitte auch nicht Mensch, sondern…“
„Ich werde dich Grübler nennen“, fiel mir der Baum ins Wort.
„Von mir aus. Ich wollte sagen, dass ich mich auch nicht unbedingt als Mensch fühle - also, wenn ich so das Treiben meiner Mitmenschen betrachte. Verstehst du das?“
„Ja, wie gesagt, ich lausche deinen Gedanken schon lange. Du fühlst dich wie ich am falschen Platz. Du kannst wie ich nicht weglaufen. Du bist wie ich dazu verdammt auszuharren…“

Plötzlich mischte sich eine andere Stimme ein, etwas heller als die von Old Boy:
„Höre nicht auf diesen Miesepeter! Dieser alte Sack zieht alles und jeden runter! Er sieht überall nur das Schlechte…“
Offenbar hatte sich der Baum links von meinem Fenster zu Wort gemeldet. Ich ging zum Kühlschrank und goss mir Weißwein ins Glas nach. Unglaublich, diese Bäume. Ich wusste gar nicht, dass sie so gesprächig sind.

iGing - 16. Jul. 17, 14:05

Wunderbarer Text!

bonanzaMARGOT - 16. Jul. 17, 14:06

danke!
rosenherz - 17. Jul. 17, 07:06

Na, wer weiß was die Bäume sonst noch alles zu erzählen wissen, wenn sie so gesprächig sind.
Allerdings, dass du nicht weglaufen kannst? Du hast gesunde Beine und keinerlei familäre Verpflichtungen, kannst hin wo du willst. - Nur vor dir selbst kannst du nicht davonlaufen.

bonanzaMARGOT - 17. Jul. 17, 07:09

erstens kann man, wie du richtig feststellst, nicht vor sich selbst weglaufen... und vor der welt mit ihren menschen, wie sie nunmal ist, auch nicht. das wollte ich damit sagen. egal ob baum oder mensch, jede kreatur muss sich mit ihrem dasein und ihrem umfeld arrangieren.
wenn man wegläuft, landet man unter umständen nur an einem anderen straßenrand (oder gleich in der gosse).
rosenherz - 17. Jul. 17, 09:37

Wobei der Baum weitaus weniger Wahlmöglichkeiten hat im Vergleich zum Menschen. Ein Baum muss sein Leben lang an dem Ort bleiben, an dem er Wurzeln geschlagen. Wir können rund um den Erdball reisen, der Hitze, Dürre oder Kälte ausweichen, und aus Millionen Möglichkeiten wählen, unser Leben zu gestalten.
bonanzaMARGOT - 17. Jul. 17, 11:52

Das liegt in der Natur des Baumes, ausser er wird von Menschen umgepflanzt.
Ich muss mal Old Boy fragen, ob er mit uns tauschen wollte.
rosenherz - 17. Jul. 17, 12:25

wir warten gespannt auf neue gespräche
bonanzaMARGOT - 19. Jul. 17, 12:24

wir?
rosenherz - 19. Jul. 17, 21:49

Mein Hund, Kater "Murr" und ich.
bonanzaMARGOT - 20. Jul. 17, 06:01

ah so. dann grüße deine gesellen lieb von mir.
rosenherz - 18. Jul. 17, 14:52

Meine Freundin Lisa erzählt auch von Gesprächen mit Bäumen. Im Hauptberuf arbeitet sie als Wissenschaftlerin. In ihrer Freizeit hört sie den Bäumen zu, was die zu den wissenschaftlichen Forschungen zu sagen haben.

bonanzaMARGOT - 19. Jul. 17, 05:03

interessant.
um welches forschungsgebiet geht es denn?
rosenherz - 19. Jul. 17, 10:30

Sie arbeitet in den Bereichen Sozialforschung und Tiefenökologie.
bonanzaMARGOT - 19. Jul. 17, 12:21

tiefenökologie musste ich googeln. die ist ja eher eine art philosophie bzw. fundamentalistische ökoligische lebenshaltung, auch im politischen sinne. ich las nur kurz mal drüber bei wikipedia (und war an die antroposophen erinnert)... dabei stellt sich mir die frage, wie viel wissenschaft darin wirklich steckt.

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