Brasko und die geklauten Minuten
IV
Das Schwitzen nimmt kein Ende, obwohl die Temperaturen etwas runtergingen in der Nacht. Brasko fühlt sich am Morgen wie gerädert. Ächzend wandert er durch die Zimmer wie ein Tiger im Käfig, ein alter Tiger. Er hält kurz inne und blickt mürrisch aus dem Fenster: Alles wie gehabt. Ein weiterer Sommertag voller Sonne, Freude und oberflächlichem Glanz. Die Menschen tun, was sie tun müssen im Koordinatensystem ihres beschränkten Verstands, ihrer Bedürfnisse und Wünsche, ihrer Ideen und Phantasmen… auf einem Gesteinsplaneten, den sie Erde nennen, in dessen hauchdünner Atmosphäre sie ihr kurzes Dasein fristen. Und nun kommt dieser Sandmann mit „seinen Minuten“, die ihm wertvoller als alles erscheinen! Was ist schon eine Minute?! Ein Fliegenschiss, der meist nichts bedeutet. Das Leben besteht aus einer riesigen Minuten-Armee, wo eine der anderen gleicht, die allesamt im Gleichschritt in eine Höllenschlacht ziehen, die nicht gewonnen werden kann. Das Leben ist ein Waterloo! Brasko schnauft wütend. Er spürt, dass er langsam in Fahrt kommt. Es wird Zeit für den ersten Drink.
Freilich gibt es auch entscheidende Minuten. In einer Minute kann eine ganze Menge passieren. Little Boy fiel eine Dreiviertel Minute vom Ausklinken aus dem Bombenschacht bis zur Detonation über dem Ziel Hiroshima. Was für eine unendlich schweigsame Minute muss das gewesen sein! Minuten können furchtbar lang werden – wenn sich z.B. der Fallschirm nicht öffnet. Auf der anderen Seite erscheinen uns glückliche Minuten wesentlich kürzer. Brasko sucht nach diesen glücklichen Minuten in seinem Leben und findet auf Anhieb keine. Vielleicht hat er sie alle vergessen…, oder er ignoriert sie schlichtweg. „Bah! Scheiß drauf! Die Nutte kriegt mich nicht!“ sagt er zu sich selbst und fährt sich nach einem kräftigen Schluck aus seinem Drink mit dem Handrücken über den Mund. In Braskos Augen ist die ganze Welt nuttig und verkommen, nur darauf aus, seine Seele zu ficken.
Minuten kann man nicht zurückholen! Der Sandmann ist ein Idiot, ein reicher Spinner! Diese Typen haben alles, und das ist ihr Fluch. Sie kriegen die schönsten Mösen, fahren die teuersten Sportwagen, besitzen auf jedem Kontinent eine Villa, feiern auf ihren Jachten wilde Partys… wissen kaum noch, wohin mit der ganzen Kohle. Sie werden zu Gefangenen ihrer vergoldeten Scheiße, und je nach Charakter sind sie schließlich empfänglich für die verrücktesten Ideen und Sachen...
Brasko gähnt. Er fährt den Computer hoch und schickt dem Sandmann die Koordinaten seiner Test-Minute. Er hatte schließlich schon verrücktere Fälle.
bonanzaMARGOT
- 12. Aug. 18, 11:38
- boMAs Gedichte und Texte