Wo kommen die ganzen Seelen her?
Im Unterricht kamen wir auf den medizinischen Fortschritt zu sprechen, der uns Menschen nicht immer zum Segen gereicht. In der Klasse wurde munter diskutiert. „Ich wollte nicht ewig leben“, meinte eine Mitschülerin. Der Lehrer runzelte die Stirn und entgegnete: „Kommt auf die Qualität des Lebens an.“ Ich stimmte dem zu: „Wenn man die Altersmaläste im Griff hätte, warum nicht – ich habe mich inzwischen an mich gewöhnt und weiß, was ich an mir habe. Da ist es doch besser ewig zu leben als z.B. wiedergeboren zu werden… als was auch immer.“ Mein Einwurf ging im Durcheinander des allgemeinen Geredes unter. Die Klasse ist sehr lebhaft. Die Kommunikationstrainerin antwortete der Schulleiterin auf deren Frage, wie denn die neue Klasse so wäre: „Sehr kommunikativ.“ Die sieben Damen um mich herum sind wirklich nicht auf den Mund gefallen und recht mitteilungsbedürftig. Das ist mitunter anstrengend für mich (und sicher auch für die Dozenten, weil der Unterrichtsfluss oft unterbrochen wird), aber auf der anderen Seite ist immer was los, und es wird viel gelacht. Für mich überwiegt der positive Eindruck. Als Altenpfleger ist mir der Umgang mit (geschwätzigen) Damen nicht fremd. Zicken sind, hoffe ich, nicht unter meinen Klassenkameradinnen. Die erste Schulwoche verging flott. Als ich mich am Freitag auf den Heimweg ins Wochenende machte, fühlte ich mich regelrecht beschwingt. Die Sonne schien, und ich freute mich darauf, zweimal ausschlafen zu können.
Inzwischen hielt der Herbst Einzug in Berlin. Der Wind bläst kühl durch die Straßen. Dunkle Wolken treiben über den Himmel. Die feuchte Luft riecht nach Erde. Binnen einer Woche vollzog sich ein erheblicher Wandel – in der Natur und auch für mich.
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Es ist komisch: manchmal habe ich das Gefühl, die gesamte Welt wäre beseelt und brüchig wie Glas. Ein falsches Wort, eine falsche Geste, und alles stürzt in sich zusammen. Wehmut und Traurigkeit nehmen von mir Besitz.
bonanzaMARGOT
- 06. Sep. 15, 10:39
- boMAs Gedichte und Texte