Sonntag, 24. August 2014

TV-Tipp:

"Melancholia", 22 Uhr 40, Tele 5

Neuer Mut zur Ehrlichkeit


Das Kind hat ein natürliches Gespür für die Wahrheit. Es sagt unverblümt, was es denkt. Die Erwachsenen reagieren amüsiert oder sind manchmal von der Ehrlichkeit ihres Nachwuchses wie vor den Kopf gestoßen. Ich war ein sehr wahrheitsliebendes Kind. Meine ersten Lügen tun mir noch heute weh. Eine Lüge bleibt selten allein. Die Hemmschwelle sinkt, und die Gewissensbisse werden verdrängt. Schließlich lügen doch alle. Man darf sich dabei nur nicht ertappen lassen. Hierbei wird sehr schnell die Doppelbödigkeit der Gesellschaft erkennbar, die Moral, Tugendhaftigkeit und Ehrlichkeit plakatiert, während sie es in der Praxis damit nicht so genau nimmt. Spitzenreiter dieser Heuchelei ist die Kirche – das war mir sehr schnell klar. Doch ist diese Haltung grundlegend allen Erwachsenen eigen. Offenbar ist es ganz normal: öffentlich den Saubermann mimen und hinter dieser Fassade schmutzige Geschäfte tätigen. Politiker entwickelten darin eine regelrechte Meisterschaft. Nein, nicht alle – aber immer mehr. Wer die Wahrheit sagt, ist ein Narr. Er wird dafür geächtet oder ausgelacht.
Als ich in die Pubertät kam, erinnerte ich mich wieder meiner Wahrheitsliebe. Ich wollte sie mir zurückerobern. Ich begann zu schreiben. Meine Naivität half mir dabei. Ja, in diesem Falle ist Naivität durchaus eine vorteilhafte Eigenschaft. Als Mensch und Dichter will ich auf das klare Quellwasser des Geistes zurückgreifen und nicht im Trüben fischen. Es geht mir um die Wahrheit. Es geht mir um klare Werte. Darum mag ich auch eine klare Sprache und keine rhetorisch aufgeblasenen Wortungetüme. Mein Kampf für die Wahrheit ist vor allem eine innere Auseinandersetzung. Nur wenn ich mich selbst aktiv um Wahrheit bemühe, darf ich anderen ihre Lügen oder ihre Heuchelei unter die Nase reiben. Ansonsten ist`s Mumpitz.
Die Menschen sind allgemein sehr eingebildet. Sie legen ungern ihre Masken ab. Es hängt zu viel daran. Man könnte genau so gut gegen Windmühlen kämpfen. Nur manchmal reitet mich der Teufel, und ich mache mich unbeliebt, indem ich naiverweise sage, was ich denke. Die Reaktionen darauf fallen oft ungehalten, zickig, beleidigend und giftig aus. Die Menschen vertragen die Wahrheit nicht (tz tz tz).
Nein, ich mag eigentlich niemandem mit meiner Wahrheitsliebe auf den Geist gehen. Sowieso pflegt jeder seine ganz eigene Wahrheit. Seit meiner Pubertät gingen einige Lenze ins Land. Es blieb mir nichts anderes übrig, als meine Sicht der Dinge zu relativieren. Nichts geht über die Kunst der Diplomatie. Ohne die bleibt man in dieser Welt einsam auf der Strecke. Stellt sich nur die Frage: wo werden Anpassung und Opportunismus zum Verrat an den eigenen Werten? Wann geht dabei die Wahrheit vor die Hunde? Ich persönlich kann die Wahrheiten nicht wechseln wie Kleider.
Man muss nicht in einer Diktatur oder einem Unrechtsstaat leben, um zu erfahren, dass es Zwänge gibt, die einen die eigene Überzeugung aus Angst leugnen lassen. Das ist auch keinem Menschen vorzuwerfen. Leider gibt es immer auch eine Vielzahl Artgenossen, deren einzige Lebenswahrheit Opportunismus lautet, denen es in jedem System nur um den eigenen Vorteil geht. Ich verachte diese Zeitgenossen. Sie stehen originär für Oberflächlichkeit, Materialismus und Heuchelei. Schwer zu sagen, wie viele es sind. Eine ganze Menge, denke ich. Unter ihnen fühle ich mich unbehaglich.
Ehrlichkeit ist leider die Ausnahme von der Regel. Wir leben in einer Maskengesellschaft, in welcher die Masken zählen und nicht die Gesichter darunter.
Auch ich fügte mich gewissermaßen ein. Immerhin schreibe ich noch von dem Wahrheitssinn, den ich als Kind verlor und mir als Teenager zurückholen wollte … Heute leistete ich etwas Trauerarbeit ob dieses verlorenen Sinns. Hoffentlich ist davon noch nicht alles tot und beerdigt.



Apropos: Es gibt Wahrheiten, die offen sind - noch in der Mache sozusagen. Eine davon lautet Liebe. Und eine andere wichtige Wahrheit, die offen ist, ist die Wahrheit selbst – wie auch der Mensch in seinem Menschsein.

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