Sonntag, 17. August 2014

Brasko und die Liga der echten Buchhelden



5


Alles ging ständig weiter. Wenn man nicht am Ball blieb, lebte man am Leben vorbei. Wie ein Ersatzspieler, der vergeblich auf seinen Einsatz wartete. Oder wie eine Taube im Käfig.
Brasko dachte unwillkürlich an die versifften und nach Pisse stinkenden Toiletten der Altstadtkneipen, an die ordinären Kritzeleien an den Wänden. Wie war das eigentlich mit seinem letzten Fall ausgegangen? Man konnte doch nicht mit einer Sache anfangen, sei sie noch so verrückt, und dann kurz vor Schluss den Kopf in den Sand stecken. Nein, das wäre unschön. Brasko brachte bisher jeden Fall zu Ende. Auch wenn das Ergebnis oft bitter ausfiel. Nicht unbedingt für ihn aber für die Beteiligten. Er hatte den Auftrag der Liga der echten Buchhelden zu deren Zufriedenheit ausgeführt. Was blieb ihm auch anderes übrig – er wollte seinen Körper behalten, auch wenn der nicht gerade das Gelbe vom Ei war - aber immer noch besser, als in einem nicht näher definierten Nirwana mit anderen körperlosen Seelen seine Zeit abzusitzen. Dafür wurden fünf seiner Mitmenschen von den echten Buchhelden sozusagen gekapert, und Brasko hatte dabei wesentlich mitgeholfen.
„Ich bin zufrieden mit Ihrer Arbeit, Mr. Brasko“, sagte Harry Potter, der nun eine aufreizende Blondine war.
Sie saßen in der Destille, einer Altstadtkneipe. An den Wänden hingen Kunstwerke ansässiger Künstler. Brasko schaute sich um. Eigentlich nichts besonderes. Er wäre besser Kunstmaler geworden, dachte er. Während Brasko mit der Blondine, die Harry Potter sich zueigen gemacht hatte, an der Bar saß, hatten sich Sherlock Holmes, Kommissar Maigret, Lederstrumpf und Old Shatterhand in ihren neuen Körpern an einen runden Tisch gesetzt und zockten. Sie würfelten.
„Wollen Sie mitmachen?“ rief einer aus der illustren Runde.
„Nein danke, Mr. ...“
„Holmes.“
„Ah ja. Nein Danke, sehr freundlich, Mr. Holmes.“
„Nun seien Sie mal nicht so miesepetrig“, meinte die Blondine, die Harry Potter war, und stupste ihn in die Seite, „das Leben geht weiter.“
„Klar, aber nicht für die fünf Menschen, die ich Ihnen zuführte.“
„Glauben Sie mir doch, denen geht es gut dort, wo sie sind.“
„Das muss ich wohl so glauben.“
„Können Sie getrost. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie auch an diesen Ort.“
„Nein Danke, Mr. Potter, äh – Fräulein Potter. Da gibt es sicher kein Bier … haha!“
„Dort brauchen Sie kein Bier mehr … haha! Sehen Sie, so gefallen Sie mir schon besser, Mr. Brasko.“
Fräulein Potter hatte ja recht. Alles war in bester Ordnung. Es gab keine Leichen. Nicht mal Kommissar Maigret oder Sherlock Holmes würden hier ein Verbrechen entdecken. Zumal sie dort am Tisch saßen, sich amüsierten und würfelten. Niemand außer Brasko wusste von dem ungeheuerlichen Vorgang, dass fünf Seelen ihre Körper für diese ominösen echten Buchhelden räumen mussten. Und niemand würde ihm diese Geschichte glauben. Am Besten hielt er die Klappe.
„Noch ein Bier, bitte! Und was trinkt das Fräulein Potter?“
„Auch ein Bier.“
„Also zwei Bier, bitte!“
„Sei doch nicht so förmlich. Du kannst mich Harry nennen. Hast Du auch einen Vornamen?“
Harry Potter schmiegte sich an Braskos Seite.
„Vornamen? Ne. Ich heiße einfach nur Brasko.“
„Okay, dann bist Du mein lieber Knurrbär. Gefällt Dir das?“
„Egal.“

Brasko trank in hastigen Zügen ein Bier nach dem anderen. Er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Die Kunstwerke an den Wänden gefielen ihm jetzt immer besser. Und das Fräulein Potter gewann zunehmend an Liebreiz. Dieser Harry Potter war schon ein Teufelskerl, dass er sich einen Frauenkörper ausgesucht hatte. Das war doch mal was anderes. Brasko spürte, wie sich ein weicher Vorhang vor seinen Sinnen zuzog. Er sah sich lachen und mit einer sexy Blondine schäkern. „Darf ich vorstellen!“ rief er die Bedienung heran, „das ist Harry … Harry Potter, der Zauberlehrling! Jawohl! Sieht man ihr gar nicht an, gel? HAHA! Und ich bin Brasko, der einzig echte Detektiv! Jawohl!“ Die Bedienung lächelte gütig und fuhr mit dem Putzen der Gläser fort.

Das erste, was Brasko sah, als er wieder zu sich kam, waren die Worte „Gaddafi ist Gott*", auf die Klotür gekritzelt. Mit heruntergelassenen Hosen saß er auf der Toilette. Scharfer Uringeruch gemischt mit Chlor stieg ihm in die Nase. Er stand ächzend auf und schaute an sich herunter. Ein Kondom hing lose an seinem schlaffen Glied.
Zurück im Gastraum – war nur noch die Bedienung am werkeln, die ihn mitleidig musterte und lapidar meinte: „Wird aber auch Zeit. Feierabend.“




* Ich bitte um bessere Klospruchvorschläge. Es muss nicht zur Story passen. Am Besten ordinär und größenwahnsinnig. Jedenfalls richtig gut blöd sollten die Sprüche sein.


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