"Im Weltraum gibt es keine Gefühle", 23 Uhr, BR
bonanzaMARGOT
- 16. Jan. 13, 14:56
„honour … honour … honour … ahhhhhhhh ...“ stöhnte ein gespenstisches Wesen in Abständen immer wieder. Ich konnte es nicht abstellen und wälzte mich im Schlaf unruhig hin und her. Schließlich wachte ich auf. Wahrscheinlich hatte ich mich selbst schnarchen gehört. Die Nase war zu und die Schleimhäute im Mund widerlich trocken. Seit Tagen macht mir eine Erkältung zu schaffen, die ich eigentlich im alten Jahr gelassen wähnte. Pustekuchen. „honour … honour … honour … ahhhhhhh ...“ Mein Gott, war das schauderhaft!
Endlich hatte ich mich aufgerafft, meine Mutter im Krankenhaus zu besuchen. Das Gebäude befand sich noch teilweise im Umbau, ein Altbau schön am Neckar gelegen. Ich schlich um das Baugerüst herum. Jemand bemerkte meinen suchenden Blick und wies mir den Weg zum Eingang. Alles wirkte noch renovierungs-neu und etwas ungeordnet. Die Rezeption war nicht besetzt, und ich ging den Flur einmal hoch und runter. Schließlich kam die Dame von der Rezeption heran geeilt und nannte mir die Zimmernummer. Ich hatte mir das Krankenhaus größer vorgestellt. Schnell fand ich das Zimmer, wollte schon anklopfen und eintreten, da mahnte mich die Stimme einer Frau, dass die Ärztin gerade Visite machte. Also wartete ich neben der Tür. Die Frau wartete auf der anderen Seite der Tür und fragte: „Ich besuche Frau B. Sind Sie Herr B?“ Ich erwiderte knapp und freundlich: „Ja.“ Ich kannte die Frau nicht, und sie stellte sich mir nicht vor. Nach kurzer Zeit verließen Ärztin und Schwester das Zimmer. Die Frau trat vor mir ein. Meine Mutter saß auf dem Bett, noch mit halb heruntergelassener Hose. Die Frau verabschiedete sich hastig und meinte im Hinausgehen ernst zu mir: „Wissen Sie, dass ihre Mutter sehr krank ist?“ „Das weiß ich“, sagte ich scharf. Natürlich spielte diese Frau darauf an, dass ich mich so wenig kümmerte.
Da war ich. Der Sohn und die kranke Mutter. Wir begrüßten uns. Sie ordnete ihre Kleider und zeigte mir die blauen Flecken am Bauch von den Heparinspritzen. Eine Kochsalzlösung lief intravenös am Handgelenk ein. Sie saß schmal und knochig auf der Bettkante, ich auf einem Stuhl, den ich heranrückte. Wir waren allein in dem Dreibettzimmer. Die neue Bettnachbarin, eine alte, störrische Türkin, wie mir meine Mutter anekdotisch berichtete, war gerade mit Angehörigen unterwegs. Meine Mutter hatte viel zu erzählen. Ich hörte ihr zu. Draußen schneite es leicht. Es tat weh, sie so sitzen zu sehen. Trotzdem lachten wir zwischendurch. Ohne Humor wäre es schon gar nicht zu ertragen, meinte sie.
Die Zeit verflog nur so. Wir redeten über die übermächtige Walze von Krankheit, Altersgebrechen und Demenz meines Vaters, welche das Elternhaus in den letzten Monaten überrollt hatte. Sie habe versagt, sagte meine Mutter. „Wir haben alle versagt“, erwiderte ich. Ich versuchte ihr zu erklären, warum ich mit dem ganzen Geschehen überfordert war, - noch bin. Zumindest riss ich es an, ohne alles auszusprechen, was in mir vorging. Und sie reagierte verständig. Sicher wollten wir uns gegenseitig nicht weh tun. Was würde es auch für einen Sinn machen?
Inzwischen war die alte Türkin zurück und hatte sich auf ihrem Bett eingerollt. Ich hielt die Zeit für gekommen, mich zu verabschieden. Es war schwer, sie dort zurückzulassen wie ein Häufchen Elend. Immerhin lächelnd.
Wie sieht eine Mutter ihren Sohn?
Verwirrt aber zielgerichtet verließ ich das Krankenhaus und tauchte in den Menschenstrom der nahen Fußgängerzone ein. Im Cafe Petit Paris ließ ich das Erlebte bei einem Weizenbier sacken.
Die forsche Frau an der Tür des Krankenzimmers kam von der Nachbarschaftshilfe, erfuhr ich im Laufe des Gesprächs von meiner Mutter. Sie hatte sich in den letzten Wochen sehr um meine Eltern bemüht und sich mit meiner Mutter angefreundet. Ihre vorwurfsvolle Haltung mir gegenüber empfand ich allerdings als Grenzüberschreitung …, wenn auch verständlich aus ihrer Sicht.
Bin ich gefühlskalt? Oder feige?
Vielleicht. Ich kann es nicht sagen. Der Besuch war wichtig.
Ja, der Besuch war wichtig.