Der Traum
Später am Abend bringe ich ein paar Altenheimbewohner zu Bett, die noch vor dem Fernseher verweilten. Darunter eine fast neunzigjährige Frau, die ich besonders ins Herz geschlossen habe. Sie verfügt über einen köstlichen, trockenen Humor.
Vor einem halben Jahr starb ihr Mann, und seitdem wirkt sie regelrecht befreit und geht viel mehr aus sich raus. Trotzdem sagt sie mir oft, dass es nun auch Zeit für sie wäre zu sterben. Bei ihr ist es aber nicht wie bei vielen Alten Depression und Selbstmitleid.
Mittlerweile kenne ich viele Geschichten aus ihrer Familie und ihrem Leben. Oft diskutieren wir auch über politische und andere gesellschaftliche Vorfälle. Sie schaut regelmäßig Diskussionnssendungen wie „Hart aber fair“. Während ich ihr ins Nachthemd helfe und beim Zähneputzen assistiere, erzählt sie mir, was ihr so alles durch den Kopf geht.
Wenn ich sie dann im Bett habe, verweile ich oft noch ein paar Minuten am Fußende und höre ihr zu.
Gestern Abend erzählte sie, dass sie die Nacht vorher vom Sterben geträumt hatte. Sie war bereits in der Urne neben ihrem Mann beigesetzt. Plötzlich kam die Frühdienstkollegin ins Zimmer und weckte sie zum morgendlichen Aufstehen und Waschen. „Da war ich richtig wütend“, sagte sie lachend, „und ich herrschte die Schwester an, was das soll! Die guckte vielleicht! Sie wußte ja nicht, warum. Ich wollte doch gar nicht mehr aufwachen. Als ich dann beim Frühstück saß ...“ „ ... kamen Sie wieder in der Wirklichkeit an“, beendete ich den Satz. Sie nickte und sagte trocken: „Und das Elend ging weiter ...“ „Ja“, ich schaute sie an und kratzte mich verlegen am Kopf. Wir redeten noch eine kleine Weile über ihren Traum und das betretene Gesicht der Schwester. Darüber war sie sehr amüsiert. Die Zeiger der Uhr liefen gen Mitternacht. Fast alle schliefen nun friedlich.
Die Routine ging weiter.
bonanzaMARGOT
- 17. Mär. 11, 15:33
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache