Freitag, 11. März 2011

Innere Erstarrung versus Erdbeben in Japan


Die alte, sehr alte Nachtwache wacht auf. Es ist schon wieder Mittag. Der Tag grau und kühl. Klamm und gebeugt erhebt er sich aus dem Bett, reibt sich die Augen. Der Kopf leer und trotzdem schwer. Die Glieder schmerzen. „Wohl vom langen Liegen“, denkt er sich, „das wird sich wieder einrenken.“ Mit einem Bier spült er ein paar Aspirin herunter. Im Fernsehen zeigen sie die Horrorbilder von einem Erdbeben. Es erwischte Japan. Zusätzlich verwüstete ein Tsunami die Küste. Das Wasser nimmt alles mit, was auf seinem Weg liegt. Die Menschen verängstigt. Kernkraftwerke werden vorsichtshalber abgeschaltet. Noch ist die Katastrophe frisch, und niemand weiß, wie groß der Schaden wirklich ist und wie hoch die Anzahl der Opfer. Nachdem er alles gehört hat, dreht er den Ton vom Fernseher ab, dafür die Hifi-Anlage auf. Er wartet, bis die Tabletten und das Bier wirken. Sein Blick ist noch traumvergessen. Die Musik aus der Anlage tönt an ihm vorbei. Kommt Zeit, kommt Leben. Er grinst. Um nicht regungslos am Schreibtisch zu verharren, geht er ins Bad und rasiert sich.
Zu seinem Spiegelbild sagt er: „Wir wissen gar nicht, wie gut wir es haben ...“ „Genau,“ antwortet das Spiegelbild, „ich erinnere mich nur an ein Erdbeben in meiner Kindheit. Da fielen einige Dachziegel auf die Straße, und die Mutter bekam in der Küche einen hysterischen Anfall.“ Nach der Rasur wischt er sich den Rasierschaum mit dem Handtuch aus dem Gesicht. „Und wie lange ist erst der letzte Krieg her?“ Er erfrischt sich das Gesicht mit Aftershave Balsam. „Unsere Eltern erlebten den Krieg noch als Kinder“, sagt das Spiegelbild und nickt bedeutungsvoll. „Tschüss Bruder ...“ Er kehrt mit einer frischen Flasche Bier an seinen Schreibtischplatz zurück. Keine neuen Mailnachrichten. Im Fernsehen laufen stumm die Bilder von der Zerstörung in Japan. Die Musik von The Who passt nicht dazu. Doch das fällt ihm nicht weiter auf. Vor kurzem entdeckte er eine erotische Seite im Internet, auf welcher relativ kunstvoll pornografische Bilder gezeigt werden. Die Seite hat den bezeichnenden Namen „fuck me like that“. Nach ein wenig Herumblättern schließt er sie wieder. Er kennt solche Tage. Sie sind wie Schatten. Sie sind ein Zwischenreich. Die Wirklichkeit bleibt draußen. Und das Innere kommt auch nicht richtig raus. Es tut nicht weh. Was kann in einem solchen Zustand schon weh tun? Vielleicht sollte er sich in den Finger schneiden, um es auszuprobieren? Nein. Quatsch. Sowas machen Borderliner - hatte er gehört.
Er wird duschen gehen. Und danach irgendwelche Spuren in dem Tag hinterlassen ...







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