Dienstag, 30. September 2008

Der Schluuch

In mich versunken sitze ich an einem der Stehtische an der Wand und blicke förmlich herab auf die Reihe der Gäste gegenüber. Der Gastraum streckt sich gleich einem kurzen Schlauch, woher die kleinbasler Schänke ihren Namen hat - "Alte Schluuch". Die meisten Damen und Herren haben die Mitte des Lebens überschritten und sind, grob gesagt, dem Trinkermilieu zuzurechnen - ein illustrer Haufen. Die Wirtin, eine dunkle Schönheit, ich nehme an Tunesierin, setzt sich gern zu den Gästen, um mit ihnen zu schäkern und zu plaudern. Auch an meinem "Hochsitz" streift sie vorbei und lächelt mir charmant zu. Die Stimmung ist ausgelassen, heiter; ab und zu werden Zoten über die Tische geschrieen, Anzüglichkeiten der angetrunkenen, älteren Herrschaften den wenigen Damen gegenüber, die ihrerseits schlagfertig kontern. Ich verstehe nur Fetzen des Schwizzerdütsch aus diesem Worttumult. Meine Augen beobachten Mimik und Erscheinung der Anwesenden. Es gibt einige Skurrilitäten zu sehen, und aus den verlebten Gesichtern könnte ich Romane lesen. Die Details verlieren sich schnell wieder im Potpourri der Eindrücke. Dann starre ich gedankenverloren über mein Bierglas hinweg.
Obwohl ich mich mitten in der kleinen Kneipengesellschaft befinde, der "Schluuch" dürfte nicht viel mehr als 30qm haben, fühle ich mich dem Geschehen seltsam entrückt, fühle ich mich fremd und doch menschlich vertraut. Ab und zu spüre ich Blicke auf mir. Ich bin allzu gern in der Rolle des stillen, biertrinkenden Fremdlings. Diese Rolle spiele ich nicht allein. Wir gehören zur Staffage in jeder Kneipe: An der Theke, in einer Ecke, alleine am Tisch, schauen wir Löcher in die Luft oder lesen Zeitung.

Der "Schluuch" ist einer von mehreren Zwischenstopps in Basel, wenn ich für ein paar Stunden am Nachmittag der häuslichen Enge entfliehe. Ich genieße die Anonymität im städtischen, bunten Treiben, den leisen Anflug von Verlorenheit und das über-das-Bierglas-hinweg-träumen. Die Zeit scheint für Momente stillzustehen, und ich versinke in allerlei Tagträumereien. Aber die Realität lässt sich nicht lange abschütteln, sie lauert mich beinahe wegelagerisch auf, mahnt mich zur Pflicht, oder stellt mir ein Ultimatum. Ich schätze, es geht vielen von uns ähnlich - ständig auf der Flucht vor der räuberischen und erpresserischen Realität - ein paar von uns finden sich im "Schluuch".

ein literarisches Tagebuch

Kontakt



User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

alien-lösung? da ging...
alien-lösung? da ging was an mir vorbei. ist aber eh...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:08
richtig. ich dachte nur,...
richtig. ich dachte nur, dass ich es meinen lesern...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:05
Wo ist denn das Problem?...
Wo ist denn das Problem? Durch die „Alien-Lösung” von...
C. Araxe - 7. Nov, 22:06
Wenn du ohnehin eine...
Wenn du ohnehin eine neue Blogheimat gefunden hast...kann...
rosenherz - 2. Nov, 13:51
Liebe Leser(innen)
Dieser Blog ruht fortan. Leider ist die Resonanz hier...
bonanzaMARGOT - 02. Nov. 19, 13:39
Zu den Rubriken (3)
28.10.2016 - ... 2019 - Reisen Back from Greifswald Aufgefangen Let zter...
bonanzaMARGOT - 14. Sep. 19, 08:36

Archiv

September 2008
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
13
14
15
16
17
19
20
21
23
24
25
26
27
 
 
 
 
 
 

Neues in boMAs prosaGEDICHTE-Blog

Suche

 

Extras



prosaGEDICHTE (... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...)

↑ Grab this Headline Animator


Von Nachtwachen und dicken Titten

↑ Grab this Headline Animator



Status

Online seit 6282 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09