Mittwoch, 23. Juli 2008

Der Anschiss

Die Oberschwester schaute von ihrem PC plötzlich zu mir herüber und erhob ihre raue Stimme:
"Felix, was meintest du eigentlich, als du zu L. sagtest: Sollen die erstmal ihre Arbeit gescheit machen, dann mache ich auch gute Arbeit?" Ihr schmaler Blick traf meinen feierabendmüden Geist wie eine Sense. Es haute mich fast vom Stuhl. Tatsächlich hatte ich mich etwas verärgert gegenüber dem Stationsleiter L. wegen einer Dienstanweisung geäußert, die mir ohne weitere Erläuterung bei meinem Dienstantritt nach meinem Urlaub vorgelegt wurde. Den genauen Wortlaut meiner Schimpfe wusste ich selbst nicht mehr. Ich meinte, dass "die", also unsere Chefs, doch erstmal ihre Arbeit gut machen sollten, dann könnten sie auch erwarten, dass ich bzw. wir unsere Arbeit gut machten. Ich ahnte nicht, dass Stationsleiter L. brühwarm meine Worte an die Oberschwester weitergeben würde. Eigentlich hatten wir bis dato ein gutes Arbeitsverhältnis. Und ihn meinte ich schließlich nicht.
Natürlich würde ich die Dienstanweisung akzeptieren, verteidigte ich mich und versuchte die Situation meines Ärgernisses zu erklären - dass ich niemanden persönlich damit angreifen wollte und lediglich irriert über die Art und Weise war, wie mir die Dienstanweisung vorgelegt wurde. Die Oberschwester giftete indessen weiter: "Ich kann ein solches Verhalten nicht mehr dulden. Ich werde das zu Protokoll nehmen, und du kannst dich bei der nächsten Nachtwachensitzung rechtfertigen." Meine Nachtwachenkollegin war inzwischen kleinlaut aus dem Dienstzimmer geschlichen. Zurück blieben meine Chefin, eine Kollegin vom Tagdienst und ich. Die Kollegin fungierte als Zeugin für die Oberschwester. Wir diskutierten noch ein paar Minuten herum, in denen ich meinen müden Geist anstrengte, hinter den Sinn der morgendlichen Zurechtweisung zu kommen. Ich war mir keines wirklichen Vergehens bewusst. Sie dagegen geiferte in gewohnter Manier, dass sie andere Seiten aufziehen würde, vor allem dem Nachtdienst gegenüber; und sie sei froh darüber, dass ihr Stationsleiter L. meinen Ausspruch übermittelte ... mir rauschten die Ohren - wahrscheinlich stieg mein Blutdruck über 200.
Stocksteif verabschiedeten wir uns - noch ein kurzer Blick in ihre wässrigen Augenschlitze.
Ich war derart in Gedanken wegen dieses Vorfalls, dass ich am Ausgang vergaß abzustechen. Ich werde wohl ein Formblatt über meine Dienstzeit ausfüllen müssen. Als Begründung könnte ich schreiben: "Nach Kritikgespräch mit der Oberschwester kopflos das Altenheim verlassen und vergessen abzustechen - darum Rhythmusfehler." Das Formular werde ich zusammen mit der unterschriebenen Dienstanweisung in ihren Briefkasten werfen. Mal sehen, wie ich Stationsleiter L. das nächste Mal begegne. Die Angelegenheit bescherte mir einen schlaflosen Tag.

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