Donnerstag, 1. Mai 2008

Wer pflegt meine Eltern?


Meine Chefin knallte mir 13 Nächte in 17 Tagen rein. Ich bin verdammt froh, dass die Nachtwachen zur Zeit nicht zu stressig sind. Aber das kann sich bei den Alten schnell ändern, mindestens so schnell wie das Wetter im Hochgebirge - sie werden von heute auf morgen krank oder kriegen die Spinneritis. Nun, und auch der Tod kündigt sich nicht immer lange vorher an. Bei einigen Hochbetagten steht er bereits in der Tür. Manchmal steht er ziemlich lange auf der Schwelle, so dass wir ihn fast übersehen ... bis er eines Tages, eines Nachts seinen schwarzen Umhang mit einer fahrigen Bewegung über den Greis / die Greisin wirft ... als wolle er uns überraschen oder uns einen makabren Streich spielen.
Eine meiner Kolleginnen - und jetzt komme ich auf das, was ich heute eigentlich ansprechen wollte - ist seit Kurzem doppelt gebeutelt. Ihrer Mutter musste ein Unterschenkel amputiert werden, und zu allem Übel wird sie zusehends altersverwirrt, also demenzkrank. Als Tochter und Altenpflegerin befindet sie sich in der außerordentlichen Bredouille, ihrer Familie, hauptsächlich ihrem Vater zu erklären, dass sie die Pflege der Mutter kräftemäßig nicht schultern kann. Der Vater, der die Demenz und die wohl bleibende Pflegebedürftigkeit seiner Frau noch nicht akzeptieren kann, lässt kaum eine Gelegenheit aus, meiner Kollegin vorzuhalten, was denn die Nachbarn und Bekannten darüber denken, dass die Tochter, die doch Altenpflegerin ist, jetzt nicht für ihre Mutter da sei - er schäme sich für sie. Dieser psychische Druck durch die Familie ist immens. Jeder normale Mensch bekommt angesichts solcher Vorwürfe Schuldgefühle, und diese Schuldgefühle sind nicht ohne ...
Als mir meine Kollegin davon erzählte, wurde mir gleichzeitig warm und kalt, denn ich dachte natürlich daran, dass meine Eltern auch nicht mehr die Jüngsten sind. Früher oder später würde ich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden, und ich will nicht in eine solche "moralische Zwickmühle" rasseln!
Als ich vorgestern mit meiner Mutter telefonierte, versuchte ich ihr meine Befürchtungen und Ängste nahe zu bringen. Ehrlich, ich fühlte mich beschissen dabei. Wer will schon seine Eltern auf die Eventualitäten ihrer kommenden Pflegebedürftigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten ansprechen? Das ist in etwa so, als ob ich jemandem sage, dass er ein Auslaufmodell sei, dass es jetzt um die Schadensbegrenzung ginge.
Nein, so sollte es nicht klingen. Ich wünsche mir, dass wir uns zusammensetzen und darüber reden: über meine Ängste und die Erwartungen meiner Eltern. Ich verdenke es ihnen nicht, dass sie nicht täglich an die Morbidität des Alters erinnert werden wollen, dass sie einfach ihr Leben leben wollen, wie es ihnen hoffentlich noch lange vergönnt sein wird. Trotzdem reden wir besser jetzt miteinander als zu einem Zeitpunkt, wo das Schicksal uns mit schierer Endgültigkeit überholt, wie meiner Kollegin geschehen.
Mein Gott, ich bin froh, wenn ich dieses Gespräch hinter mir habe. Ich liebe meine Eltern, aber der Gedanke, sie pflegen zu müssen, macht mir große Angst. Ich bin Altenpfleger. Ich will nicht für meine Eltern der Altenpfleger sein ... die Vorstellung ist grauenhaft. Am liebsten würde ich manchmal davonrennen. Aber die Eltern kann man nicht abschütteln. Ich hoffe, sie lassen mich ein letztes Mal frei.

Noch vier Nächte, dann endlich eine größere Verschnaufpause über Pfingsten. Zeit zum Nachdenken. Zeit zum Ausruhen. Zeit für den Frühling.

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