Mittwoch, 23. Januar 2008

Die Suche nach Trost

Der Schleim brodelte und spritzte bei jedem Hustenanfall aus der gebogenen Tracheakanüle. Wir mussten den Bewohner häufig absaugen. In den Nachtdiensten ließ ich seine Zimmertür offen, damit ich die Atemgeräusche hören konnte. Vor drei Tagen verstarb er. Wir waren auf dem Windelrundgang gewesen, und als wir zu seinem Zimmer kamen, um ihn zu lagern und zu versorgen, sagte meine Kollegin, die in der Tür stand: "Felix, komm mal ..." Wie meine Kollegin sah ich auf den ersten Blick, dass Herr H. gestorben war. Ich sah es nicht nur , ich spürte es irgendwie. Es war diese "Ruhe".
Nein, er war nicht erstickt. Seine Augen waren geschlossen, seine Gesichtszüge entspannt.
Ich war dem Leben dankbar, dass es diesen Menschen nicht mehr plagte. Niemals werde ich seine aus Angst aufgerissenen Augen vergessen, seinen verzweifelten Blick, wenn wir ihn windeln mussten, ihn drehen mussten. Oft lag er bereits blau angelaufen in seinem Schweiß und wäre fast an seinem Schleim erstickt. Niemals werde ich dieses Brodeln, sein Ringen nach Luft vergessen, sein blaurotes Gesicht und die Schweißperlen auf seiner Stirn. Mein Mitleid half ihm nicht viel. Es war ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn ich ihn in den Arm nahm, wenn ich ihn streichelte, ihn beruhigte, um ihm die Angst zu nehmen. Man gewöhnt sich auch an das Leid. Man gewöhnt sich an die Grausamkeit des Lebens.
Oft fragen wir uns, warum manche Menschen derart leiden müssen. Wir haben keine Antworten.
Die Angehörigen hoffen oft noch auf Besserung. Wer soll es ihnen verdenken? Im Falle von Herrn H. war der Tod eine Erlösung. Ich glaube, ich darf das sagen. Er schlief ein. Vielleicht ist er jetzt an einem Ort, wo er Antworten auf all die quälenden Fragen des Seins erhält.
Ich werde noch viele Menschen sterben sehen. Und auch die Angst, die Verzweiflung und die Ohnmacht dabei erleben. Und die Suche nach Trost.

ein literarisches Tagebuch

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