Kurzer Ausflug ins Ich


Immer wieder stolpere ich beim Nachdenken über das Phänomen des Bewusstseins. Dabei kriege ich das Gefühl nicht los, dass es unanständig ist, sich selbst gewahr zu werden: Als hätte man ein verbotenes Zimmer betreten. Ist erst mal die Tür aufgestoßen, kriegt man sie nicht mehr so leicht wieder zu. Was ist das für ein gruseliges Zimmer? Das bin doch nur ich, oder? Besonders weit gucken kann man darin nicht. Ich sehe auf meine Hände und meinen Körper, ich erkenne mich im Spiegel. Da sind meine Gedanken und Gefühle – diffuse geistige Erscheinungen, die an die Oberfläche drängen. Da sind Ängste und Sehnsüchte - und jede Menge Fragen, auf die niemand wirklich eine Antwort weiß. Aber ich kann nicht aufhören zu fragen …, und schon wieder habe ich das unbestimmte Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Macht es einen Sinn, nach etwas zu suchen, was der Verstand nicht begreifen kann? Ist das nicht gar dem eigentlichen natürlichen Lebensauftrag abträglich? Warum nicht einfach gedankenlos funktionieren, wie Gott oder die Natur es für uns vorgesehen haben? Wieso stießen wir Menschen diese verbotene Tür auf?!
Oder ist das Bewusstsein am Ende nur eine Schimäre? Also, wenn es ein Hirngespinst ist, dann ist es ein verflixt gutes. Ich finde den Weg nicht aus ihm heraus.
Oder steht unser Bewusstsein erst ganz am Anfang? Ich meine, dass wir uns in dieses geheimnisvolle Zimmer nur richtig hinein trauen müssen, statt auf der Schwelle zu verharren. Vielleicht gibt es einen Weg, diese Dunkelheit zu verstehen. Irgendwer sagt, dass dies gefährlich sei. Ja, ich weiß, und außerdem verboten. Aber wie soll ich das Dasein verstehen, wenn ich den Schritt nicht wage? Meine Lebenszeit läuft langsam ab. Die Tür wird sich eines Tages wieder schließen. Egal auf welcher Seite ich dann stehe, alles Fragen wird dann gegenstandslos sein.
Ich will mehr über das Ich erfahren, - mein Ich und das Ich überhaupt. Hat die Welt ein Ich? Hat Gott ein Ich? Ist das Ich ein Gefängnis? Ist es nur ein Trugbild? Reißt es mich in zwei Teile? Ist es des Menschen Fluch? Oder bedeutet das Ich die Spitze der Erkenntnisfähigkeit, wenn wir uns nur trauen? Oder ist es ein Labyrinth, in dem wir uns hoffnungslos verlaufen würden?
Ich weiß nicht, ob ich richtig liege, aber ich glaube, dass der Weg in eine menschlichere und friedlichere Welt nur über eine intensive und offene Auseinandersetzung mit dem Ich-Komplex führt. Wir müssen uns viel mehr unser selbst bewusst werden, anstatt im Materialismus zu baden.
Ich glaube an ein gemeinsames Ich der Menschen. Ich glaube an die empathische Verbundenheit aller Menschen und aller Kreaturen im Universum. Trotz aller individueller Unterschiede gibt es einen Raum, in dem wir zu einem ganzheitlichen Bewusstsein zusammenwachsen. Wir werden mit der Anlage geboren, den Schritt zu wagen … Die Tür steht offen.
Aber noch stehen wir unter Schock.







Kohle/Kreide, 500 x 700, 1994


(Inspiriert wurde ich zu dem Bild von zwei Papageien, die eine Zeit lang auf dem Minigolfplatz gehalten wurden. Ich ging da oft ein Bier trinken, nachdem ich im benachbarten Waldschwimmbad schwimmen gewesen war. Und an lauen Sommerabenden saß ich mit meiner damaligen Freundin dort in feucht-fröhlicher Runde. Die Papageienkäfige standen nicht weit von unseren Plätzen.)

steppenhund - 28. Jan. 12, 23:35

Ja, es gibt ja verschiedene Wege, diese Suche weiter zu führen. Alkohol ist dabei allerdings absolut kontraproduktiv. Der Gedanke an das kollektiven Bewusstsein hat was für sich. Findet sich auch in einigen metaphysischen Gedankensystemen.
Ob man den Weg gehen will, ist eine eigene Entscheidung. Halbherzig bringt nichts. Dann kann man es auch unterlassen;)

bonanzaMARGOT - 29. Jan. 12, 00:07

ich fühle mich angesoffen geistig stärker als die meisten, wenn sie nüchtern sind. aber du hast freilich recht, steppenhund, ich bilde mir das nur ein ...

das bewusstsein hat nichts mit dem alkohol-status zu tun. nun ja. ein wenig. dann und wann.

lieber bin ich total besoffen, als dass ich an gott glaube.
bonanzaMARGOT - 29. Jan. 12, 13:08

zusatz:

und was meinst du mit halbherzig?
wie du es sagst, entscheidet jeder für sich, wie weit er gehen will - in dingen wie spiritualität und bewusstseins-erkundung.
ich kann gut verstehen, wenn man als ängstlicher mensch lieber die finger davon läßt, oder wenn man lieber durch kirchliche institutionen vorgegebene religiöse formen aufsucht.
ich würde diesen menschen darum nicht halbherzigkeit vorwerfen.

eine relative haltlosigkeit ist im leben schwer auszuhalten. da darf man ruhig mal einen über den durst trinken, oder? kontraproduktiv hin oder her.
ich werde wohl nie zu antworten kommen, ... oder jedenfalls nur etappenweise; aber das macht nichts. ich folge einfach meiner ahnung - hinein ins dunkle, hinein in den nebel.
und wenn ich dabei im kreis herum irre, dann ist es eben so.
ein ankommen gibt es nicht. höchstens ein anhalten und besinnen.
steppenhund - 30. Jan. 12, 08:38

Ich urteile nicht. Und saufen darf man wohl auch. Ich denke nur, man sollte die Selbsterforschung und das Saufen trennen.
Ich selbst habe meinen Alkoholkonsum weitestgehend reduziert, weil ich für meine Kopfarbeit bezahlt werde und ich durch die Reduktion ein bisschen der Alterssenilität entgegenwirken kann.

Über religiöse Themen äußere ich mich nicht. Doch ist es weniger Halbherzigkeit sondern mehr Bigotterie, die ich Leuten zuordne, die bei Hexenverbrennungen jubeln oder einen Krieg führen, weil der liebe Gott zum Präsidenten gesprochen hat.

Und ein Ankommen gibt es aus gutem Grund nicht. Das würde ja das Ende bedeuten, wenn man weiß, wo man hin soll. Entweder man schafft es, dann gibt es keinen Grund weiter zu gehen, oder man sieht ein, dass man es nie schafft. Dann könnte man verzweifeln. Da ist es doch einfacher, anzunehmen, dass das Ziel in so weiter Ferne liegt, dass das Ende noch nicht abzusehen ist.
bonanzaMARGOT - 30. Jan. 12, 10:57

mal schaun - zwischendurch hat man sowieso wieder andere sorgen. und dann ist das leben rum ...
Ranunkelchen - 29. Jan. 12, 18:39

ein mich sehr beeindruckendes bild hast du da entstehen lassen. sowohl im bild als auch im wort. genial gelungen, so schön vielseitig deutbar, das mag ich.

und die geschichte mit dem bewußtsein sehe ich ähnlich. nur stelle ich selbst fest, es ist harte arbeit, sich seiner selbst bewußt zu werden. aber notwendig, will ich mich selbst erkennen (und heilen). bei den meisten anderen menschen treffe ich eher auf unbewußtheit. jeder hat so seinen weg, sich vor der eigenen erkenntnis und sichtbarkeit zu schützen. arbeitswut, ordnungswahn, spielsucht, alkoholismus...all diese mittel ersinnt unsere angst, bzw unser ego um nicht erkannt zu werden. denn wenn wir es erkennen, verliert es seine macht über uns.

bonanzaMARGOT - 30. Jan. 12, 11:12

ja, ohne anleitung ist es in einer hauptsächlich materialistisch orientierten welt schwierig mit der bewußtseinsfindung.
jeder mensch muss für sich entscheiden, wie viel offenheit nach innen wie nach außen er verträgt, bzw. erfahren will ...
so schafft jeder sich im laufe seines lebens ein heim, gebaut aus seiner biografie, seiner leidenschaft, seinen vorlieben, seines glaubens, den menschen seines herzens - wo er sich halbwegs sicher und geborgen fühlt vor den ängsten und dämonen des lebens.
freilich ist die sicherheit trügerisch, oft eine farce, - ufert aus in spießigkeit und heuchelei.
verführungen aller möglichen art können uns in einer schwachen/orientierungslosen phase packen und krank machen oder gar in den abgrund reißen.
man lebt immer ein bild von sich. und mit diesem bild sollte man sich beschäftigen, damit man nicht von diesem bild beherrscht wird, - also, nicht ganz beherrscht wird.

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