Ins Blaue hinein


Die Gegenwart ist unendlich. Nur die Gegenwart. Die Vergangenheit verirrt sich wie ein scheues Reh. Und die Zukunft hüpft vor unseren Augen wie ein junger Bock herum. Doof nur, dass die Gegenwart nicht anzuhalten ist. Ich reise in einem Zug, in dem sich alles ständig ändert. Nicht nur das Personal wird älter und grauer - auch ich. Trotzdem habe ich die Illusion, dass bei mir die Zeit stillsteht. (Nun dürfte klar sein, warum ich Spiegel scheue. Sowie Fotos. Sie sind Zeitmaschinen.)
Als ich jung war, sah ich mich noch gern im Spiegel, - betrachtete meine Silhouette heimlich in den Schaufenstern, wenn ich durch die Fußgängerzone schritt. Ich hatte das Gefühl ewiger Jugend. Ich fühlte mich stark und schön. Doch der Zug fuhr weiter, und ich entdeckte langsam die anderen Perspektiven, - die des Altwerdens. Das Abteil schien zu schrumpfen. Der Fahrtwind verlor seine Abenteuerlichkeit. Ich zog mich zurück in den Speisewagen ..., sofern er nicht überfüllt war.

Manchmal kühle ich meine Gesichtshälfte an der Scheibe. Es ist wie ein zärtliches Berühren der Zeit, der Vergänglichkeit. Die Landschaften huschen vorbei, und ich sitze still. Ich sitze nicht allein, aber oft fühle ich mich allein. Viele der Mitreisenden sind so sehr mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht die Gegenwart spüren. Diese unendliche Gegenwart. Auch Bewußtsein genannt. Ist ihnen klar, dass sie irgendwann aussteigen müssen?

Ich denke und schreibe, damit die Zeit stillsteht. Im Geiste greife ich durch das Zugfenster ..., lasse mich ganz hinaus ziehen in die Unendlichkeit. Ewig und unabänderlich.
Zurück bleiben meine Worte.

Freni (Gast) - 08. Sep. 11, 14:54

Dann bist du vll ein schöner älterer Mann? Sowas solls ja geben ;)

bonanzaMARGOT - 08. Sep. 11, 14:58

ansichtssache. der text handelt nicht speziell um schönheit.
vielleicht gibt es einfach eine differenz zwischen dem, was ich in mir fühle und außen wahrnehme.
Freni (Gast) - 08. Sep. 11, 15:10

Ich laß dir mal die Knef hier. Anhören kannst du es ja alleine ;-)

Mit sechzehn sagte ich still, ich will,
will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen,
mit sechzehn sagte ich still, ich will,
will alles, oder nichts.

Für mich soll's rote Rosen regnen,
mir sollten sämtliche Wunder begegnen.
Die Welt sollte sich umgestalten,
und ihre Sorgen für sich behalten.

Und später sagte ich noch, ich möcht'
verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren,
und später sagte ich noch, ich möcht'
nicht allein sein, und doch frei sein.

Für mich soll's rote Rosen regnen,
mir sollten sämtliche Wunder begegnen.
Das Glück sollte sich sanft verhalten,
es soll mein Schicksal mit Liebe verwalten.

Und heute sage ich still, ich soll
mich fügen, begnügen, ich kann mich nicht fügen,
kann mich nicht begnügen, will immer noch siegen,
will alles, oder nichts.

Für mich soll's rote Rosen regnen,
mir sollten ganz neue Wunder begegnen.
Mich fern vom alten Neu entfalten,
von dem was erwartet, das meiste halten.
Ich will..., Ich will...!
bonanzaMARGOT - 08. Sep. 11, 15:13

danke

ein sehr schöner liedtext.
Ranunkelchen - 08. Sep. 11, 20:20

mir geht es so, dass ich mit zunehmendem alter, bzw bewußtheit gelassener werde. mich mehr dem augenblick widmen kann, ohne schon an morgen zu denken. erfahre, dass ich mich auch jetzt noch verändern, von scheinbar festen mustern befreihen kann. andere in ihren rollen gefangen erlebe und sie mir deshalb menschlich verbunden sind.

an meinem kühlschrank hängt ein spruch, den ich mal abends beim philosophieren mit meiner freundin ersann:
"streß mich nicht, ich bin hier nur auf der durchreise."lach
unter diesem blick auf mein dasein werde ich immer "geschmeidiger", wie meine therapeutin abschließend bemerkte.

bonanzaMARGOT - 09. Sep. 11, 11:25

guter spruch, ranunkelchen.
ich mag`s vorallem nicht, wenn ich von anderen menschen beruflich, familiär oder partnerschaftlich gestresst werde. aber genau das passiert schon mal.
dabei könnte man vieles viel entspannter angehen.
ich versuche wirklich, ruhig zu bleiben. leider klappt`s nicht immer. der druck, die ängste, die eigenen erwartungen machen mir einen strich durch die rechnung. dabei habe ich jede menge zeit.
das leben ist ein verflixtes puzzle!
la-mamma - 08. Sep. 11, 20:31

ach, schaufenster schmeicheln doch auch, wenn man sich federnden ganges zuzwinkert. egal welchen alters;-)

bonanzaMARGOT - 09. Sep. 11, 11:26

ne, mich erschreckt es nur, wenn ich mich zufällig dann doch gespiegelt sehe.
Lange-Weile - 09. Sep. 11, 09:01

sowohl als auch

Hallo Bo.,

das hast du wirklich schön geschrieben. Wort für Wort deiner Zeilen kann ich unterschreiben, mein Blick auf die Gegenwart spiegelt ein ähnliches Bild wieder.

Im Yoga zeige ich den Teilnehmern außer Übungen auch die Möglichkeit, sich für wenige Momente im "Augenblick" aufzuhalten Das heißt, das Bewusstsein hält sich nur im Moment auf. Der Vergangenheit und Zukunft sollten möglichst keinen Raum gegeben werden. Gelingt es einem Teilnehmer, berichtet er von einem Moment ohne Zeit um Raum. D.h er hat das Gefühl fpr Zeit verloren. Doch unser Leben finden nicht in der Meditation statt und jeder muss sich wieder ins fließende Leben stürzen. Doch sich für einen Moment ausklinken ist nicht schlecht und erholsam für den Geist.

Dann erträgt man es leichter, wenn der süße Vogel sich davon man und er im eigenen Blick nur noch als kleiner werdender Punkt am Horizont zu sehen ist.

So..wie ich mir damals nicht vorstellen konnte, das auch ich einmal zum alten Eisen zähle, ebenso kann ich mir heut nicht vorstellen, dass ich auch mal so jung war, wie auf den Bildern von damals.

Doch eins weiß ich sicher, während ich mich damals eher zerrissen fühlte, hab ich heut das Gefühl, mit mir eins zu sein. Für dieses Lebensgefühl hab ich meine Jugend gern eingetauscht und die Äußere Hülle steht - in Gegensatz zu damals - nicht mehr an erster Stelle.

Wenn ich irgend wann den fahrenden Zug des Lebens verlassen müsste, werde ich dies vielleicht weniger ängstlich tun, weil ich die Zeit genutzt habe, mein Lebenspuzzle zusammen gesetzt zu haben. Aber das ist nur ein kurzer Blick in die Zukunft, Vielleicht stellt sich kurz vor dem Aussteigen doch ein anderes Gefühl ein.

Gruß LaWe


bonanzaMARGOT - 09. Sep. 11, 10:54

hi lawe

es ist schön und gut, wenn man mit dem alter ein stückchen weisheit für sich eroberte. von selbst kommt das nämlich nicht unbedingt.
bei mir wird`s noch eine weile dauern ... mit der weisheit.
obwohl ich schon manchmal helle momente habe.

die angst vor tod und verfall kann ich nicht ablegen. im altenheim sehe ich, wie leidvoll der letzte lebensabschnitt sein kann, mit wieviel schmerzen, unselbständigkeit und einbußen das alter einhergehen kann. sehr trostlos ein solcher ausblick ...
natürlich kann es auch ganz anders kommen, und man verbringt die letzten jahre in sich ruhend und zufrieden.
ich weiß nicht, ob wir das für uns steuern können.

es sieht so aus, als wärest du auf einem guten weg, lawe.
pondarosa (Gast) - 09. Sep. 11, 13:05

darf ich bitte,

auch was dazu sagen?
ich finde es sehr wichtig im hier und jetzt zu leben, achtsam zu sein denn nichts geht nur so nebenbei.
find einen schönen text den du da geschrieben hast.
.

bonanzaMARGOT - 09. Sep. 11, 13:09

danke pondarosa. ich empfinde das leben als mysterium.

(mir gingen lediglich deine küsschen und liebesbekundungen auf die nerven. ansonsten habe ich nichts gegen deine antworten hier.)
pondarosa (Gast) - 09. Sep. 11, 13:11

*freu*

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