Der Gespensterzug


Leise rieselt der Schnee. Ich denke öfter an Kärnten, als mir gut tut. Durch den Schnitt kommt es mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her. Beinahe so, als hätte ich alles nur geträumt.
Ich stand in Weinheim auf dem Bahnsteig und wartete auf einen Regionalexpress. Da fuhr plötzlich vor meiner Nase der Eurocity Frankfurt-Klagenfurt ein. Er kam von Klagenfurt. Seine Waggons waren total verdreckt von der langen Fahrt. Ich schaute auf die Wagen-Nummern. Ich saß meist in den Nummern 259-261. Das Stahlmonster wirkte wie ein Leviathan aus ferner Vergangenheit, - tauchte kurz vor mir auf, schnaubte und setzte seine Fahrt fort. Ich blieb wie konsterniert auf dem Bahnsteig zurück: Wie viele Stunden hatte ich im letzten Jahr auf meinen Reisen in ihm verbracht? Ich weiß die Haltestellen auswendig. Ab München hatte ich die deutschen Großstädte hinter mir. Dann am Chiemsee vorbei, Salzburg … Knapp acht Stunden dauerte eine Reise. Ich kannte inzwischen das ein oder andere Gesicht vom Bordpersonal. Manchmal fuhr ich gleich nach dem letzten Nachtdienst, damit wir so viel wie möglich Tage miteinander verbringen konnten. Natürlich war ich erst mal kaputt, wenn ich ankam. Umso öfter ich in dem Zug saß, desto lästiger wurde die Zugfahrerei. Es bestand nicht mehr dieselbe Spannung wie am Anfang. Ich wollte einfach nur ankommen. Zurück war es dasselbe. Ich zählte meine Besuche nicht. Aber ich fuhr in den 9 Monaten unserer Beziehung wenigstens 1-2x im Monat hin und her.
Man macht verrückte Dinge, wenn man verliebt ist. Und hinterher fragt man sich, warum; obwohl man weiß, warum.
Ich stand auf dem Bahnsteig und sah dem Eurocity hinterher. Es war ein Gespenster-Zug. Wie ganz Kärnten eine Gespenster-Region für mich ist. Die Tränen lassen sich in solchen Momenten nicht zurückhalten. Nein, ich möchte kein Mitleid erwecken. Ich kenne den Schmerz gut, wenn etwas vorbei ist. Das Leben selbst ist eine Zugreise. Wir wissen nicht, wer zusteigt. Wir wissen nicht, wer in unser Abteil kommt – und für wie lange.
Ich blicke aus dem Zugfenster und sehe die Alpen, diese massigen schneebedeckten Berge. Ich sitze in einem Spielzeug-Zug, der sich durch die Täler schlängelt, einer Hoffnung entgegen …, einer anderen Welt und Zukunft entgegen.
Ein einziger Abend zerstörte alles. Eine Lawine erfasste den Zug und begrub unsere gemeinsamen Hoffnungen und Wünsche auf immer.

perlentaucherin - 13. Mär. 13, 18:25

ich glaube inzwischen, daß es meist nicht nur ein einziger abend oder anlaß ist, der etwas zum zusammenbruch bringt. vielleicht als letztendlicher auslöser, aber schwehlte es nicht schon lange oder immer mal wieder?...aber als lyrische poente ist es gut so.

bonanzaMARGOT - 14. Mär. 13, 08:17

nicht nur pointe

sicher entstanden die bedingungen für die lawine schon vorher.
doch die lawine war es, welche die zerstörung brachte - bzw. den endpunkt setzte bzw. neue tatsachen schuf.
Gioia - 14. Mär. 13, 08:26

Alles hat seine Zeit, damit müssen sich die Menschen abfinden. Loslassen ist die beste "Medizin".

bonanzaMARGOT - 14. Mär. 13, 08:30

jo - auch das loslassen hat seine zeit, bzw. braucht seine zeit.
man kann das doch nicht einfach steuern, wenn erinnerungen und gefühle hochkommen.
Gioia - 14. Mär. 13, 09:19

Erinnerungen und Gefühle einfach zu- statt loslassen. Sie von allen Seiten mit dem inneren Auge betrachten...

ach, jeder geht anders mit seiner Geschichte um. Ratschläge sind nicht so mein Ding.

bonanzaMARGOT - 14. Mär. 13, 09:26

nicht nur geht jeder anders mit verlusten und verletzungen um. auch jede geschichte ist anders gelagert. darum kann man ohne wirkliche kenntnis des menschen und der situation kaum gute ratschläge erteilen.
wenn menschen z.b. von ihrem herzschmerz berichten, rede ich einfach von meinen erlebnissen/erfahrungen - wie mir es erging, und wie ich darüber wegkam. dann kann der betroffene vergleiche anstellen und hat was zum nachdenken.
ratschläge kann man gut bei handwerklichen problemen erteilen - bei seelischen weniger.
Gioia - 14. Mär. 13, 09:27

nun haben sich unsere kommentare gekreuzt...

bonanzaMARGOT - 14. Mär. 13, 09:29

jep.
Lange-Weile - 14. Mär. 13, 11:15

Grabrede

Hallo Bo.,
es liest sich wie eine Grabrede. Der Rücklick am Grab eines Kindes, so nenne ich die Liebe am Anfangsstadium. Die Frage ist, ob es von Anfang an ein tot geborenes Kind war oder ob es nach der Geburt lebte, jedoch schon totkrank war.

Eine Lawine, die alles überrollt. Hat sie etwas frei gelegt, was unerträglich ist oder etwas verschüttet, was schon da war? ? Was ins rollen kommt, ist bereist lose und immer latent gefärdet, das das gelöste nur durch einen Impuls von außens nach unten stürzt.

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 14. Mär. 13, 11:19

die lawine diente mir als relativ passendes bild in diesem zusammenhang, lawe.
natürlich mussten erst bedingungen geschaffen werden, damit sie sich löst und ihr zerstörerisches werk vollbringen konnte.

klar, es ist eine art grabrede auf eine liebe. mehr als der rückblick bleibt nicht.
nun, ich glaube schon, dass das "kind" lebte und nicht schon tot auf die welt kam - aber es hatte wohl einen schlimmen herzfehler.

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