Mittwoch, 17. Juni 2015

Die Welt - ein Durcheinandertal


(...) Gott wurde zu einer bloßen Idee (...) wieder spielte ihm die Theologie einen Streich: Sie idealisierte den Sohn Gottes. Die Huren und Zöllner wurden ihm weggedacht, bei denen er sich wohlgefühlt, deren Witze und Zoten er gehört und auch darüber gelacht hatte, er wurde nie als Mensch ernst genommen, sondern nur als Gott, der den Menschen spielte, weil er ein Gott war, der nie bei Weibern liegen durfte (...) Gottes Sohn wurde etwas Abstraktes, abstrakter noch als der Vater, aber auch etwas Kitschiges, ein Marzipanheiland am Kreuz (...) denk dir keinen Gott mehr aus, dann brauchst du dir auch keine Hölle auszudenken. Der Mensch braucht den Menschen und keinen Gott, weil nur der Mensch den Menschen begreift (...) Bei einem Physiker hatte er einmal gelesen, wenn die Wirklichkeit reden könnte, so würde sie keine physikalischen Formeln aufsagen, sondern ein Kinderlied singen, und so dachte er, wenn Gott sich zeigen könnte, wäre er etwas völlig Unbegreifliches, Abstruses wie das Paket Kaffee Oetiker Fr. 10.15 (...) die Welt war ein ständig anwachsendes, von ineinandergeschachtelten Weltallen gebildetes Welthirn, dessen einzelne Neuronen wiederum aus ineinandergeschachtelten Weltallen bestanden, deren jedes aus einem Ich bestand, das dieses Weltall dachte samt den Galaxien, Sonnen und Planeten, die es brauchte, um die Evolution in Gang zu setzen, die auf dem Weg über Einzeller, Vielzeller, Weichtiere, Wirbeltiere den Menschen erzielte, der in einem phantastischen Zirkelschluß wiederum das Weltall dachte und einen Gott, einen hundertköpfigen oder tausendfüßigen, einen vielnasigen oder einen aus Holz oder aus Gold, oder eine vielbrüstige Göttin, so viele Götter wie Weltalle (...)

zitiert aus den letzten Seiten Dürrenmatts Roman "Durcheinandertal"

Mittwoch, 10. Juni 2015

Zuhause


Die Sonne scheint auf das Kopfsteinpflaster meiner Straße. Der Verkehr scheppert langsam darüber hinweg. Bodenschwellen verhindern schnelles Fahren. Fremdländische Stimmen dringen zu mir durchs gekippte Fenster. Menschen hasten vorbei. Ich sehe auf ihre Köpfe (die Wohnung ist Hochparterre), eine Menge mit Kopftüchern. Wir nennen sie scherzhaft „Columbos“, weil die Frauen wetterunabhängig oft in ähnliche Mäntel, wie Inspektor Columbo einen trägt, eingemummelt sind. Vom nahen Spielplatz ist Kindergeschrei zu hören. Ich brüte vor mich hin, während meine Partnerin am Computer sitzt, um sich auf ihren Unterricht vorzubereiten. Ich mache mir Gedanken über den Kiez, in dem ich seit nunmehr einem guten Monat wohne. Man lebt sich langsam ein. Die Hauptschlagader bildet die Potsdamer Straße, wo alles sehr dicht aneinander gedrängt liegt: Imbisse, Supermärkte, Bäckerei, Restaurants, Cafés, Ramschläden, Friseure (alle paar Meter ein Haarschneider – unglaublich!)... Die meisten Geschäfte sind in türkischer oder asiatischer Hand. Nicht zu vergessen das Stundenhotel und der Straßenstrich. Anfangs fielen mir die Prostituierten gar nicht auf. Man sieht hier einfach zu viele Gestalten jeder Couleur, so dass man über vieles einfach hinweg schaut. Viele Menschen sind arm und schäbig gekleidet. Demgemäß ist es hier eine billige Gegend. Eine Schrippe ist beim Bäcker schon für 10 Cent zu haben. Und ein Herrenhaarschnitt beim türkischen Friseur liegt bei 10 Euro. Ich habe mich noch nicht entschieden, wo ich mir die Haare schneiden lassen soll. Es ist überfällig. Auch O. will einen Friseur für sich in der Nähe. Einen Termin beim neuen Hausarzt, der nur 100 Meter entfernt in meiner Straße liegt, machte ich vorhin aus - eine Gemeinschaftspraxis, eine Asiatin, ein Deutscher, beide Internisten. Meine Blutdrucksenker gehen langsam aus. Alles muss man an einem neuen Wohnort für sich neu finden, bis sich eine gewisse Bequemlichkeit oder Gelassenheit ergibt. Der Kiez rund um die Potsdamer Straße bietet eigentlich alles notwendige. Im Internet fand ich den "potseblog", auf dem viel Lokalkolorit zu lesen ist. Vieles ist sicher noch für uns zu erkunden. Nachher, nach O.s Seminar an der Uni, machen wir uns auf die Suche nach einem Friseur.
Wenn es nicht zu früh ist zu sagen: wir fühlen und ganz wohl hier. Es ist eine bunte und lebendige Gegend mit viel Abwechslung. Der Park am Gleisdreieck, der quasi um die Ecke liegt, bietet viele Möglichkeiten, um auch mal in der Sonne die Seele baumeln zu lassen. Zum Potsdamer Platz sind es nur 20 Minuten Fußweg. Und auf der anderen Seite, wenn man den Park quert, liegt schon Kreuzberg...
Zurück an meinen Schreibtisch: im Geiste schaue ich meine Straße rauf und runter. Eine Seite wird von Kastanienbäumen gesäumt. Die Bäume bieten Schatten, wenn wir von der U-Bahnstation oder vom Supermarkt schwitzend in der Sonne die letzten Meter nach Hause gehen. Ist es nicht seltsam? Wenn ich die Haustür öffne, blicke ich auf das Klingelschild, auf dem mein Name steht... Ich denke an O., meine Liebe, ich denke, dass alles wie ein Traum ist.

Dienstag, 9. Juni 2015

Ein Wochenende




ausgefüllt mit Sonne, Bier und Liebe

Freitag, 5. Juni 2015

Da fängt der Tag gut an


Als ich aus der Beuthstraße 7 hinaus auf den Gehsteig trat, fühlte ich mich leichter. Der Himmel leuchtete blau über den Straßenschluchten. Mein Weg führte mich erst zum Alex und dann weiter zum Hackschen Markt. Es war noch Vormittag. Die Plätze und Straßen füllten sich erst langsam. Ich hatte etwas Schiss gehabt vor dem Termin. Wie würde meine Arbeitslosen-Sache in Berlin weitergehen? Pünktlich 10 Uhr nahm ich im Warteraum Platz. Kaum saß ich, kam schon die Arbeitsvermittlerin um die Ecke und rief mich auf. Nach Begrüßung und Feststellung meiner Daten, eröffnete sie mir, dass inzwischen ein amtsärztlicher Bescheid vorliege, welcher im Ergebnis zu einer beruflichen Rehabilitation rät. Die Arbeitsvermittlerin besprach mit mir die weitere Vorgehensweise. Das könne allerdings dauern, sagte sie, und dann hätte sie außerdem bald ihren Jahresurlaub. Ich nickte bedauernd.

Am Hackschen Markt suchte ich mir einen Platz in der Sonne. Vorm Weihenstephaner war noch kein Mensch. Wahrscheinlich hatten sie gerade geöffnet. Gegenüber saß an einem Mäuerchen ein Straßenmusiker und spielte lässig seine Lieder. Nebenan waren Marktstände aufgebaut. Ich schaute auf die Kulisse, den S-Bahnhof und die Spitze des Fernsehturms dahinter. Gerne hätte ich O. umarmt und geküsst und ihr von der Agentur für Arbeit erzählt, aber sie unterrichtete in der Sprachschule.
Der Straßenmusiker war ein interessanter Typ, sympathisch. Seine Lieder plätscherten so dahin. Poesie und Herz lagen darin. Ich kaufte ihm zwei CDs ab. „Da fängt der Tag gut an“, lächelte er. Ich gab mich der Sonne und dem Bier hin. Einer alten Frau, die mich anbettelte, drückte ich zwei Euro in die Hand. Sie bedankte sich überschwänglich. Für einige Momente verloren Welt und Schicksal ihre Schwere.




Mo Calaz am Hackschen Markt

Mittwoch, 3. Juni 2015

Mittwochs-Weisheit

Je mehr der Mensch leidensfähig, das heißt tieferen Kummers fähig ist, desto mehr ist er Mensch.
(Miguel de Unamuno, 1864 - 1936, spanischer Philosoph, Dichter und Essayist)

Montag, 1. Juni 2015

Der Leidensweg eines Mannes


Der Leidensweg eines Mannes in Form einer Aufzählung, notiert von einem defätistischen Naturell während der Midlife-Crisis:

Ungefragt gezeugt – neun Monate Einzelhaft – zur Geburt gezwungen – geschockt vom Licht der Welt – die Flasche bekommen – geschrien wie am Spieß – früh gesessen, spät gesprochen – von der Schule Abwechslung erhofft – von der Schule und den Paukern bald frustriert – schüchtern, vor allem zu Mädchen – Pickelgesicht – mäßige Schulnoten – den Alkohol entdeckt – zurück zur Flasche – die erste Liebe, die zweite, dritte, vierte... - der erste Liebeskummer, der zweite, dritte, vierte... - die ersten Berufserfahrungen – Kneipenabende – keinen Plan – keinen Glauben – Wehrersatzdienst im Altenheim – geschockt fürs Leben aber dabeigeblieben – Alkoholproblem - Studium – Kneipen statt Vorlesungen besucht - Arbeit weg – Führerschein weg - Sozialhilfe – Alkoholtherapie – abgebrochen – zurück in die Altenpflege - halbwegs Fuß gefasst – das Internet für die Gedichte entdeckt – als Nachtwache gearbeitet – Frauen, Frauen, Frauen – vielleicht beziehungsunfähig – in die Jahre gekommen – noch immer keinen Plan – die Eltern gestorben – die Arbeit geschmissen – nach Berlin gezogen – noch mal verliebt – gefühlt ein Wrack...

Der Mann, inzwischen Anfang Fünfzig, saß am Schreibtisch in seiner Berliner Wohnung. Er bewunderte die Energie und den Optimismus seiner Partnerin. Immer wieder richtete sie ihn auf. Bestimmt hat sie mich bald satt, dachte er und schaute hinaus auf das regennasse Pflaster der Straße. Kaum aufgestanden, war er bereits wieder müde. Seine Glieder schmerzten vom Nichtstun. Er ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier. Er stierte auf den Bildschirm seines Computers. Früher fielen ihm die Gedichte leichter ein. Was gab es noch zu schreiben? Wo sollte das alles enden? Er hatte Glück gehabt mit dieser Frau, die hübsch anzusehen war, erst Mitte Dreißig. Es machte ihn traurig, dass er ihr so wenig genügen konnte. Sie hatte was besseres verdient.
Wenn sie nachher nach Hause kommt, sollte er sich zusammenreißen und sie anlächeln, - aufs Bett werfen und glücklich machen. Ja, verdammt! Er liebte sie! Der Mann schloss seine Augen, fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. Mit seiner defätistischen Einstellung versaute er sich am Ende noch die besten Tage...

Mittwoch, 27. Mai 2015

Pfingsten


Die Sonne knallte ordentlich am Pfingstsonntag. Wir unternahmen einen Ausflug zum Wannsee. In Ermangelung von Uferwegen und Biergärten landeten wir schließlich im Strandbad Wannsee...





Pfingstmontag besuchten wir den Karneval der Kulturen. Tausende Stände mit allerlei Krimskram lockten mit bunten Farben. Überall wurden Fressalien und Getränke angeboten – wir mittendrin im Menschengewimmel. Die Vielzahl der Eindrücke war betäubend, später auch das Bier...




Mittwochs-Weisheit

Und wandelt mit bedächt`ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
(Goethe)

Donnerstag, 21. Mai 2015

Leergut


Die GDL befindet sich mal wieder im Streik. Bus und U-Bahn sind übervoll, wenn die S-Bahn nicht fährt. Ich denke, dass Berlins Busfahrer ein ziemlich gutes Nervenkostüm brauchen, und sie werden sicherlich nicht besonders gut bezahlt... Manche Nacht träume ich noch von meiner Arbeit im Altenheim. Wenn ich wollte, fände ich sehr schnell einen Job in Berlin. Ruckzuck wäre ich wieder drin im Arbeitsprozess als Altenpfleger. Es ist eine Arbeit, die an der Basis immer dieselbe sein wird. Aber ich habe es wirklich nicht eilig. (Gott behüte!) Wie bei den Busfahrern hat das Pflegepersonal eine Mordsverantwortung, jede Menge Stress und verdient dabei noch schlecht.
O. und ich sitzen bei Sonnenschein des öfteren im Park am Gleisdreieck. Dort beobachten wir (u.a.) die Leergut-Sammler. Wir rechneten aus, dass sie in einer Stunde ca. 8 Euro zusammen kriegen könnten – jedenfalls an guten Tagen. Kein schlechter Zuverdienst. Früher oder später vielleicht eine Sache für mich.

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