Mittwoch, 10. Juni 2015

Zuhause


Die Sonne scheint auf das Kopfsteinpflaster meiner Straße. Der Verkehr scheppert langsam darüber hinweg. Bodenschwellen verhindern schnelles Fahren. Fremdländische Stimmen dringen zu mir durchs gekippte Fenster. Menschen hasten vorbei. Ich sehe auf ihre Köpfe (die Wohnung ist Hochparterre), eine Menge mit Kopftüchern. Wir nennen sie scherzhaft „Columbos“, weil die Frauen wetterunabhängig oft in ähnliche Mäntel, wie Inspektor Columbo einen trägt, eingemummelt sind. Vom nahen Spielplatz ist Kindergeschrei zu hören. Ich brüte vor mich hin, während meine Partnerin am Computer sitzt, um sich auf ihren Unterricht vorzubereiten. Ich mache mir Gedanken über den Kiez, in dem ich seit nunmehr einem guten Monat wohne. Man lebt sich langsam ein. Die Hauptschlagader bildet die Potsdamer Straße, wo alles sehr dicht aneinander gedrängt liegt: Imbisse, Supermärkte, Bäckerei, Restaurants, Cafés, Ramschläden, Friseure (alle paar Meter ein Haarschneider – unglaublich!)... Die meisten Geschäfte sind in türkischer oder asiatischer Hand. Nicht zu vergessen das Stundenhotel und der Straßenstrich. Anfangs fielen mir die Prostituierten gar nicht auf. Man sieht hier einfach zu viele Gestalten jeder Couleur, so dass man über vieles einfach hinweg schaut. Viele Menschen sind arm und schäbig gekleidet. Demgemäß ist es hier eine billige Gegend. Eine Schrippe ist beim Bäcker schon für 10 Cent zu haben. Und ein Herrenhaarschnitt beim türkischen Friseur liegt bei 10 Euro. Ich habe mich noch nicht entschieden, wo ich mir die Haare schneiden lassen soll. Es ist überfällig. Auch O. will einen Friseur für sich in der Nähe. Einen Termin beim neuen Hausarzt, der nur 100 Meter entfernt in meiner Straße liegt, machte ich vorhin aus - eine Gemeinschaftspraxis, eine Asiatin, ein Deutscher, beide Internisten. Meine Blutdrucksenker gehen langsam aus. Alles muss man an einem neuen Wohnort für sich neu finden, bis sich eine gewisse Bequemlichkeit oder Gelassenheit ergibt. Der Kiez rund um die Potsdamer Straße bietet eigentlich alles notwendige. Im Internet fand ich den "potseblog", auf dem viel Lokalkolorit zu lesen ist. Vieles ist sicher noch für uns zu erkunden. Nachher, nach O.s Seminar an der Uni, machen wir uns auf die Suche nach einem Friseur.
Wenn es nicht zu früh ist zu sagen: wir fühlen und ganz wohl hier. Es ist eine bunte und lebendige Gegend mit viel Abwechslung. Der Park am Gleisdreieck, der quasi um die Ecke liegt, bietet viele Möglichkeiten, um auch mal in der Sonne die Seele baumeln zu lassen. Zum Potsdamer Platz sind es nur 20 Minuten Fußweg. Und auf der anderen Seite, wenn man den Park quert, liegt schon Kreuzberg...
Zurück an meinen Schreibtisch: im Geiste schaue ich meine Straße rauf und runter. Eine Seite wird von Kastanienbäumen gesäumt. Die Bäume bieten Schatten, wenn wir von der U-Bahnstation oder vom Supermarkt schwitzend in der Sonne die letzten Meter nach Hause gehen. Ist es nicht seltsam? Wenn ich die Haustür öffne, blicke ich auf das Klingelschild, auf dem mein Name steht... Ich denke an O., meine Liebe, ich denke, dass alles wie ein Traum ist.

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